BGE 101 III 32 vom 12. März 1975

Datum: 12. März 1975

Artikelreferenzen:  Art. 9 VZG, Art. 99 VZG, Art. 122 SchKG, Art. 133 SchKG , Art. 99 Abs. 2 VZG, Art. 9 Abs. 2 VZG, Art. 133 und 122 SchKG

BGE referenzen:  120 III 79, 129 III 595, 135 I 102, 136 III 490, 140 III 12 , 99 III 56

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

101 III 32


7. Entscheid vom 12. März 1975 i.S. K. und J.K. sowie Z. AG.

Regeste

Schätzung von Faustpfändern im Pfandverwertungsverfahren.
Bedeutung der Schätzung im Pfandverwertungsverfahren (E. 1 am Ende).
Die analoge Anwendung des Art. 99 Abs. 2 bzw. 9 Abs. 2 VZG auf die Schätzung von Fahrnis rechtfertigt sich nur dort, wo anerkannte Schätzungskriterien bestehen; dies ist bei nicht kotierten Aktien nicht der Fall (E. 2b und c).

Sachverhalt ab Seite 32

BGE 101 III 32 S. 32

A.- In der von der X. SA gegen die Y. AG in Basel geführten Betreibung auf Pfandverwertung schätzte das Betreibungsamt Basel-Stadt die 150 verpfändeten Inhaberaktien der Schuldnerin auf ihren Nennwert von 150'000 Franken. Gegen diese nach ihrer Ansicht zu tiefe Schätzung erhoben K. und J. K. sowie die Z. AG als Faustpfandeigentümer Beschwerde bei der kantonalen Aufsichtsbehörde, wobei sie den Beizug eines Schätzungsgutachtens beantragten. Mit Entscheid vom 20. Februar 1975 hat die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt die Beschwerde abgewiesen.

B.- Diesen Entscheid haben die Faustpfandeigentümer an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen. Sie stellen folgende Anträge:
"1. Es sei der Entscheid der Aufsichtsbehörde vom 20. Februar 1975 und damit auch der Schätzungsbericht des Betreibungsamtes Basel-Stadt vom 28. November 1974 aufzuheben.
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2. Es sei das Betreibungsamt Basel-Stadt anzuweisen, den Wert der durch die von der X. S.A. veranlassten Betreibung auf Pfandverwertung (Zahlungsbefehle Nrn. 42'398-42'402 des Betreibungsamtes Basel-Stadt) betroffenen 150 Inhaber-Aktien der Y. AG in Basel durch unabhängige, ausgewiesene Sachverständige schätzen zu lassen, und den danach festgestellten Wert im Betreibungsverfahren zu berücksichtigen.
3. Eventuell: Es sei die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt anzuweisen, einen Entscheid im Sinne des vorstehenden Rechtsbegehrens zu Handen des Betreibungs- und Konkursamtes des Kantons Basel-Stadt zu erlassen.
4. Subeventuell: Es sei die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt anzuweisen, die Sachverständigen-Schätzung gemäss vorstehenden Rechtsbegehren anzuordnen."

Erwägungen

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

1. Streitigkeiten über die Höhe der Schätzung im Betreibungsverfahren werden an sich von den kantonalen Aufsichtsbehörden endgültig beurteilt, da es sich dabei um Ermessensfragen handelt. Das Bundesgericht kann einen Entscheid über solche Fragen nur daraufhin prüfen, ob die kantonale Behörde bundesrechtliche Verfahrensvorschriften verletzt oder das ihr zustehende Ermessen überschritten habe ( BGE 99 III 56 E. 4a). Dies ist hier nicht der Fall.
Das Betreibungsamt hatte gute Gründe, die verpfändeten Aktien auf ihren Nennwert zu schätzen. Einmal handelt es sich dabei um den Preis, zu welchem die Rekurrenten nach ihren eigenen Angaben die Titel im Jahre 1971 gekauft haben. Der geschätzte Wert trägt sodann auch dem Bericht der FIDES Treuhand-Vereinigung vom 11. November 1974 sowie den Jahresabschlüssen 1971 bis 1973 der Schuldnerin samt den entsprechenden Kontrollstell-Berichten der genannten Treuhandgesellschaft angemessen Rechnung. Aus diesen Unterlagen erhellt überdies deutlich, dass auch eine zuverlässige Schätzung des Liegenschafteneigentums der Y. AG keine genaue Ermittlung des inneren Wertes der verpfändeten Aktien zuliesse, da in Anbetracht der mangelhaften Buchführung, wie sie die FIDES festgestellt hat, immer noch zuviele Unklarheiten bestehen blieben. So soll namentlich eine nicht unbedeutende Forderung gegen die Schuldnerin nicht abgeklärt sein.
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Im übrigen kommt der Schätzung im Pfandverwertungsverfahren ohnehin nur untergeordnete Bedeutung zu. Ihre Hauptfunktionen - Bestimmung des Deckungsumfanges und Orientierung des Gläubigers über das voraussichtliche Ergebnis der Verwertung - entfallen hier weitgehend. Wohl dient die Schätzung ausserdem zur Aufklärung allfälliger Steigerungsinteressenten ( BGE 70 III 17 E. 3), doch hat dieser Zweck dort zurückzutreten, wo - wie hier - eine zuverlässige Schätzung nur mit einem unverhältnismässigen und dem betreibenden Gläubiger nicht zumutbaren Zeitaufwand erreicht werden kann. In solchen Fällen muss es mit einer summarischen Schätzung sein Bewenden haben.

2. a) Die Rekurrenten verlangen die Schätzung der Faustpfänder durch einen Sachverständigen. Dabei berufen sie sich auf JAEGER/DAENIKER (Schuldbetreibungs- und Konkurs-Praxis, Bd. I S. 210), die dafür halten, dass Art. 9 VZG , der einen solchen Rechtsanspruch bei der Pfändung von Grundstücken ausdrücklich festhält, analog auf Mobilien anzuwenden sei.
Zur Stellung eines derartigen Begehrens sind die Rekurrenten als Dritteigentümer der verpfändeten Aktien an sich befugt (vgl. FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., Bd. I S. 335; SCHELLENBERG, Die Rechtsstellung des Dritteigentümers in der Betreibung auf Pfandverwertung, Diss. Zürich 1968, S. 143). Fraglich ist jedoch, ob die angerufene Bestimmung - da ein Pfandverwertungsverfahren vorliegt, ist es eigentlich die auf Art. 9 verweisende Bestimmung von Art. 99 Abs. 2 VZG - ohne weiteres auch bei Fahrnis Anwendung finden kann. Die von den Rekurrenten zitierten Autoren haben ihre zustimmende Auffassung nicht näher begründet, sondern lediglich auf einen in ZR 41/1942 Nr. 120 abgedruckten Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich verwiesen (JAEGER/DAENIKER a.a.O.).
b) Voraussetzung für die (analoge) Anwendung einer Gesetzesbestimmung auf einen Sachverhalt, der von dieser nicht ausdrücklich erfasst wird, ist, dass deren Grundgedanke auch für den nicht geregelten Fall zutrifft (FRIEDRICH, Die Analogie als Mittel der richterlichen Rechtsfindung, in ZSR 1952, S. 443 und 457; BGE 73 II 231 ).
Art. 9 Abs. 2 VZG , auf den die auf das Pfandverwertungsverfahren anzuwendende Bestimmung von Art. 99 Abs. 2
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VZG
verweist, gibt den am Betreibungsverfahren Beteiligten das Recht, die Schätzung durch einen Sachverständigen zu verlangen, wenn sie mit jener der Betreibungsbehörde nicht einverstanden sind. Durch den Beizug eines Experten, der über Kenntnisse und Hilfsmittel verfügt, die dem Betreibungsamt in der Regel fehlen, soll eine möglichst genaue Schätzung garantiert werden. Innert nützlicher Frist kann dieser Zweck indessen nur dort erreicht werden, wo anerkannte Schätzungskriterien bestehen. Dies ist bei nicht kotierten Aktien wie hier gerade nicht der Fall. Eine zuverlässige Schätzung wäre deshalb auch unter Beizug eines Sachverständigen ausserordentlich zeitraubend, und es würde die Verwertung in einem für den betreibenden Gläubiger unzumutbaren Masse hinausgezögert. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt wesentlich von dem bei JAEGER/DAENIKER (a.a.O.) angeführten Entscheid des Zürcher Obergerichts, in welchem die Schätzung von Personenwagen im Streite lag, die gestützt auf Jahrgang und Zahl der gefahrenen Kilometer verhältnismässig einfach und rasch durchgeführt werden konnte.
Gewiss können bisweilen auch Schätzungen von Grundstücken, für die Art. 9 Abs. 2 VZG ein Sachverständigen-Gutachten ausdrücklich vorsieht, aufwendig und zeitraubend sein. Doch wird das Vollstreckungsverfahren in der Regel dadurch nicht allzu stark verzögert, kann doch ein Grundstück ohnehin erst im Verlaufe des zweiten Monats nach dem Verwertungsbegehren (eine bewegliche Sache dagegen frühestens schon nach zehn Tagen und spätestens nach einem Monat) versteigert werden (Art. 156 in Verbindung mit den Art. 133 und 122 SchKG ).
c) Wie sich aus dem Gesagten ergibt, unterscheidet sich ein Faustpfand der vorliegenden Art (nicht kotierte Aktie) mit Bezug auf das entscheidende Merkmal der Schätzbarkeit vom Grundpfand in einem solchen Masse, dass sich eine analoge Anwendung von Art. 99 Abs. 2 bzw. 9 Abs. 2 VZG nicht rechtfertigt. Die Rekurrenten haben demnach keinen Rechtsanspruch auf Schätzung durch einen Sachverständigen.

3. Mit Recht verlangen die Rekurrenten heute nicht mehr ausdrücklich, sich durch Abklärungen im Betreibungsverfahren über die tatsächliche Vermögenslage der Schuldnerin ins Bild setzen und Unterlagen für allfällige Verantwortlichkeitsklagen gegen die Mitglieder der Verwaltung beschaffen
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zu können. Solchen Zwecken hat die betreibungsrechtliche Schätzung nicht zu dienen.

Dispositiv

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.

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