Urteilskopf
114 IV 164
46. Urteil des Kassationshofes vom 30. September 1988 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
. Schwerer Fall bei wiederholter Tat.
Wird durch mehrere Handlungen insgesamt eine Betäubungsmittelmenge umgesetzt, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann, ist ein schwerer Fall auch dann gegeben, wenn zwischen den einzelnen Geschäften nicht Fortsetzungs-, sondern Wiederholungszusammenhang besteht. Dabei handelt es sich allerdings, anders als bei fortgesetzter Begehung, nicht um einen schweren Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
, sondern um einen in der beispielhaften Aufzählung in
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
nicht ausdrücklich geregelten schweren Fall (Präzisierung der Rechtsprechung).
A.-
X. verkaufte von 1982 bis Februar 1986 verschiedenen Personen insgesamt ca. 150 g Haschisch. Von Dezember 1984 bis Juli 1985, als er neben Haschisch auch harte Drogen konsumierte, verkaufte er verschiedenen Personen insgesamt 4 g Heroin; 1 g Heroin schenkte er seiner Freundin. Anfang 1985 verkaufte er 33 LSD-Trips; 3 LSD-Trips schenkte er seiner Freundin. Im Januar 1986 war er als Mittäter beim Transport von 3,5 kg Haschisch aus Amsterdam beteiligt.
B.-
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen verurteilte X. am 18. März 1988 wegen wiederholter und fortgesetzter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 und 4 und Ziff. 4) zu einer Gefängnisstrafe von zehn Monaten, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren, und verpflichtete ihn gestützt auf
Art. 58 Abs. 4 StGB
zur Zahlung von Fr. 5'000.-- an den Staat.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Sache sei zur Verurteilung von X. wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a und zur Neufestsetzung der Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen.
X. beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Obergericht geht davon aus, dass zwischen den Tatkomplexen - Verkauf und Abgabe von 5 g Heroin,
- Verkauf und Abgabe von 36 LSD-Trips,
- Verkauf von 150 g Haschisch,
- Transport von 3,5 kg Haschisch
Wiederholungszusammenhang besteht. Es vertritt unter Berufung auf SCHULTZ (in ZBJV 124/1988 S. 15) die Auffassung, dass bei Vorliegen von Wiederholungszusammenhang zwischen den einzelnen Tathandlungen die dabei umgesetzten Betäubungsmittelmengen entgegen der vom Kassationshof in
BGE 112 IV 113
E. 2b vertretenen Meinung nicht zusammengezählt werden dürfen. Die durch eine solche Addition der Betäubungsmittelmengen geschaffene Möglichkeit der Anwendung von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
führt nach Ansicht des Obergerichts im übrigen zu einer sachlich nicht gerechtfertigten doppelten Strafschärfung, da die Strafe beim wiederholt handelnden Delinquenten, anders als beim fortgesetzt handelnden, gemäss
Art. 68 StGB
geschärft werden kann.
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass zwischen den genannten Tatkomplexen Wiederholungszusammenhang besteht. Sie verlangt, dass die Betäubungsmittelmengen dennoch in Befolgung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung addiert werden, und dass der Beschwerdegegner demzufolge in Anwendung von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
bestraft werde, da bei Addition der Mengen unbestrittenermassen ein schwerer Fall im Sinne dieser Bestimmung gegeben sei (vgl. dazu
BGE 109 IV 143
,
BGE 112 IV 112
E. 2a). Sie weist darauf hin, dass sich vorliegend angesichts des relativ dichten tatsächlichen Zusammenhangs zwischen den vier Tatkomplexen ein Eventualdolus in bezug auf die umgesetzte Gesamtmenge noch eher als im
BGE 112 IV 109
ff. zugrunde liegenden Fall begründen lässt.
2.
Nach
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
liegt "insbesondere" dann ein schwerer Fall vor, wenn der Täter "weiss oder annehmen muss, dass sich die Widerhandlung auf eine Menge von Betäubungsmitteln bezieht, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann". Diese Menge ist objektives Tatbestandsmerkmal und muss daher vom Vorsatz des Täters erfasst sein.
a) Es ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner mit einer Menge von Betäubungsmitteln handelte, welche zusammengezählt
BGE 114 IV 164 S. 167
die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Läge fortgesetzte Tatbegehung vor, dann hätte sich die (fortgesetzte) Widerhandlung auf eine vom Gesamtvorsatz erfasste Menge von Betäubungsmitteln bezogen, welche zur Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen geeignet ist, und wäre somit der Tatbestand von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
erfüllt.
Nach der von der Staatsanwaltschaft nicht angefochtenen Auffassung der Vorinstanz ist vorliegend jedoch nicht Fortsetzungs-, sondern Wiederholungszusammenhang gegeben. Keine der eingeklagten einzelnen Taten (d.h. keine Widerhandlung) bezog sich auf eine Menge von Betäubungsmitteln, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Die durch die einzelnen, rechtlich selbständigen Widerhandlungen in Verkehr gebrachte Gesamtmenge aber wird nicht von einem Gesamtvorsatz erfasst. Daher liegt nach den insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil kein schwerer Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
vor. Bei wiederholter Tatbegehung kann es entgegen den Erwägungen in
BGE 112 IV 113
E. 2b keinen wenigstens auf die in Verkehr gebrachte Gesamtmenge bezogenen "(Eventual)-Vorsatz" geben.
b) Die Aufzählung der schweren Fälle in
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
ist indessen nicht abschliessend, sondern nur beispielhaft, wie sich aus dem Begriff "insbesondere" ergibt. Es ist deshalb nicht zulässig, die Annahme eines schweren Falles bei wiederholter Tatbegehung grundsätzlich auszuschliessen, wenn keine der einzelnen Widerhandlungen sich auf eine Menge bezieht, welche die Gesundheit vieler Menschen gefährden kann. Wenn schon eine (einzelne oder fortgesetzte) Widerhandlung einen schweren Fall darstellt, sofern die gehandelte Menge von Betäubungsmitteln die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann, dann müssen a fortiori unter derselben Voraussetzung auch mehrere Widerhandlungen einen schweren Fall bilden können. Nach dem Sinn des Gesetzes sollen jene Taten als schwere Fälle gewertet werden, die objektiv und subjektiv schwer wiegen. Unter dem objektiven Gesichtspunkt ist unerheblich, ob der Täter die Betäubungsmittel in einer einzigen grossen Portion oder in vielen kleinen Teilmengen, ob er sie gestützt auf einen einzigen Willensentschluss oder gestützt auf mehrere Willensentschlüsse in Verkehr bringe. Entscheidend ist allein, dass er gesamthaft eine Menge von Betäubungsmitteln umsetzt, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. In subjektiver Hinsicht, verschuldensmässig, wiegt die wiederholte
BGE 114 IV 164 S. 168
Tatbegehung regelmässig nicht leichter als die fortgesetzte (vgl.
Art. 68 StGB
); wenn ein Täter wiederholt nur mit kleinen Drogenmengen handelt, kann und muss er von einem gewissen Zeitpunkt an auch wissen oder annehmen, dass seine verschiedenen Handlungen zusammen sich auf eine Menge von Betäubungsmitteln beziehen, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann.
Ein schwerer Fall liegt somit bei wiederholter Tatbegehung vor, sofern der Täter durch seine wiederholten Handlungen insgesamt eine Betäubungsmittelmenge umsetzt, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Dabei handelt es sich allerdings, anders als bei fortgesetzter Tatbegehung, nicht um einen schweren Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
, sondern um einen in der beispielhaften Aufzählung in
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
nicht ausdrücklich geregelten schweren Fall.
BGE 112 IV 113
E. 2b und
BGE 105 IV 73
E. 3a sind in diesem Sinne zu präzisieren.
3.
Das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 18. März 1988 ist daher in Gutheissung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft aufzuheben, und die Sache ist zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdegegner die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen und ist ihm keine Entschädigung auszurichten.