BGE 115 IB 193 vom 14. März 1989

Datum: 14. März 1989

Artikelreferenzen:  Art. 28 IRSG , Art. 28 Abs. 6 IRSG, Art. 82 und 83 IRSG

BGE referenzen:  117 IB 53, 119 IB 64, 122 II 367, 125 II 411, 129 II 453 , 113 IB 272, 113 IB 169

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

115 Ib 193


26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. März 1989 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft und Anklagekammer des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Internationale Rechtshilfe in Strafsachen.
1. Der ersuchende Staat ist weder im Beschwerde- noch im Vollzugsverfahren Partei. Vom Beschuldigten im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens bei der ersuchten Behörde eingereichte Rechtsschriften sind ihm daher nicht herauszugeben.
2. Der ersuchte Staat muss die Ausscheidung der dem ersuchenden Staat herauszugebenden Unterlagen selber vornehmen; würde sie grundsätzlich an den ersuchenden Staat delegiert, so würden dadurch - selbst wenn dieser einen neutralen Experten beiziehen würde - die Regelungen betreffend Spezialität und Schutz der Geheimsphäre des betroffenen Beschuldigten sowie allfälliger Dritter ernsthaft in Frage gestellt.

Sachverhalt ab Seite 194

BGE 115 Ib 193 S. 194
Im Anschluss an eine Meldung des Bundesamtes für Energiewirtschaft vom 14. Februar 1986 führte die Bundesanwaltschaft ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen verschiedener Firmen wegen unerlaubten Exportes von Autoklaven. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens wurden von der Bundesanwaltschaft neun Ordner mit Unterlagen sichergestellt, welche sich in den Büros des in der Schweiz wohnhaften BRD-Bürgers X., einem Geschäftsführer einer der betroffenen Firmen, befanden. Die sichergestellten Ordner enthielten Pläne und andere Dokumente mit Beschreibungen von Autoklaven und sonstigen Installationen für Urananreicherungsanlagen, welche von der deutschen Z. GmbH stammten. X. soll die fraglichen Unterlagen unberechtigterweise kopiert und übernommen und sie ebenso unberechtigterweise Konkurrenzfirmen der Z. GmbH weitergegeben haben.
Gestützt auf eine von der Z. GmbH eingereichte Strafanzeige eröffnete die Staatsanwaltschaft beim Landgericht in Aachen ein Ermittlungsverfahren gegen X. wegen Verdachts des Verstosses gegen das deutsche Urheberrechtsgesetz und wegen allfälliger anderer Straftaten. Am 29. Oktober 1986 ordnete das Amtsgericht von Aachen die Beschlagnahme der in den Büros von X. sichergestellten Unterlagen an. Am 6. November 1986 ersuchte die Staatsanwaltschaft Aachen das Bezirksamt Werdenberg um
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Rechtshilfe in dem gegen X. eröffneten Strafverfahren, namentlich um Herausgabe der fraglichen Unterlagen und um Einvernahme des Beschuldigten X. Die diesen betreffende Strafuntersuchung wurde in der Folge an das Amtsgericht von Köln übertragen.
Mit Entscheid vom 16. Oktober 1987 entsprach der Untersuchungsrichter Rheintal/Werdenberg dem Rechtshilfeersuchen dahingehend, dass er anordnete, fünf der neun sichergestellten Ordner seien der ersuchenden Behörde herauszugeben, und nebstdem sei der Beschuldigte X. einzuvernehmen; die Rechtshilfe werde unter dem Spezialitätsvorbehalt geleistet, dass das herausgegebene Material nicht für Verfahren verwendet werden dürfe, die nicht Gegenstand des Rechtshilfeersuchens bildeten. Am 25. November 1987 wies die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen eine von X. gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde ab. In der Folge führte X. auch hiergegen Beschwerde. Am 30. März 1988 verweigerte die Anklagekammer des Kantons St. Gallen die Rechtshilfe vorläufig und räumte der Staatsanwaltschaft Köln gestützt auf Art. 28 Abs. 6 IRSG Gelegenheit zur Ergänzung des Ersuchens ein.
Am 4. Mai 1988 ergänzte die Staatsanwaltschaft Köln das Rechtshilfeersuchen. Mit Schreiben vom 7. Juli 1988 äusserte sie sich zur Eingabe des Beschuldigten X. vom 24. Juni 1988, mit der dieser definitive Verweigerung der Rechtshilfe verlangt hatte.
Am 4. November 1988 wies die Anklagekammer des Kantons St. Gallen die von X. gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen erhobene Beschwerde endgültig ab. Nebstdem traf sie folgende Anordnung:
"2. Die vorläufig sichergestellten Unterlagen werden den deutschen Strafverfolgungsbehörden unter folgenden Auflagen vollständig ausgehändigt:
a) Die Verwendung der Unterlagen und aller darin enthaltenen Angaben unterliegt dem Spezialitätsvorbehalt gemäss der Verfügung des Untersuchungsrichters Rheintal/Werdenberg vom 16. Oktober 1987. Insbesondere ist die Verwendung der Unterlagen und aller darin enthaltenen Angaben im Strafverfahren gegen X. wegen Verstosses gegen das deutsche Aussenwirtschaftsgesetz ausgeschlossen.
b) Es ist ein neutraler Experte zu bestimmen. Dieser hat die Ausscheidung der Unterlagen im Sinne der Erwägungen dieses Entscheides vorzunehmen.
c) Durch den Experten ausgeschiedene Unterlagen sowie solche, die dem Verwertungsverbot im Sinne dieses Entscheides unterliegen, sind den schweizerischen Behörden zurückzugeben."
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Gegen diesen Entscheid erhob X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Dieses hat die Beschwerde teilweise gutgeheissen und Ziff. 2 lit. b und c des Entscheids (Dispositivs) der Anklagekammer vom 4. November 1988 aufgehoben.

Erwägungen

Auszug aus den Erwägungen:

6. Die Anklagekammer hat die Staatsanwaltschaft Köln wie eine Prozesspartei behandelt, ihr gewisse Eingaben des Beschwerdeführers zugestellt und sie zur Stellungnahme dazu eingeladen, obwohl der ersuchende Staat weder im Beschwerde noch im Vollzugsverfahren Partei ist (s. BGE 113 Ib 272 E. 5b). Die Herausgabe von Eingaben des Beschuldigten, die dieser den schweizerischen Behörden in dem hier hängigen Verfahren hat zukommen lassen, stellt eine Massnahme dar, die den Beschuldigten schädigen und jedenfalls seine Verteidigungsmöglichkeit beeinträchtigen kann. Deshalb hat die Schweiz sich immer geweigert, dem ersuchenden Staat solche Schriften des Beschuldigten im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens herauszugeben. Das genannte Vorgehen der Anklagekammer ist denn auch weder durch das EÜR noch durch den Zusatzvertrag vorgesehen. Es rechtfertigt sich, dies zuhanden der Vorinstanz festzustellen, auch wenn der Beschwerdeführer eine entsprechende Rüge nicht erhoben hat.
Die Anklagekammer hat angeordnet, es seien der ersuchenden Behörde zwar alle sichergestellten Unterlagen auszuhändigen, doch nur diejenigen Dokumente endgültig herauszugeben, die sich bei einer Durchsicht als für das in der BRD geführte Strafverfahren erforderlich erweisen würden. Sie hat sich allerdings geweigert, diese Ausscheidung selber vorzunehmen, und hat vielmehr die ersuchende Behörde damit beauftragt, einen unabhängigen Experten zu bestimmen und diesen mit der Ausscheidung der Unterlagen zu betrauen. Solches Vorgehen ist nicht zulässig. Der zwischen der Schweiz und der BRD abgeschlossene Zusatzvertrag zum EÜR erleichtert zwar in Art. III und XII den Verkehr zwischen den Behörden des ersuchenden und des ersuchten Staates, doch regelt er bezüglich Herausgabe von Auskünften an den ersuchenden Staat nicht mehr als das EÜR selber. Massgebend im vorliegenden Zusammenhang sind daher die Bestimmungen des internen Rechts, namentlich die Art. 82 und 83 IRSG , welche die Geheimniswahrung und die Bedingungen des Vollzugs eines Begehrens und damit der Aktenherausgabe regeln. Die nur beschränkten
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Mitwirkungsmöglichkeiten, die Beamten des ersuchenden Staates im Zusammenhang mit dem Vollzug eines Ersuchens zustehen (s. BGE 113 Ib 169 E. 7c mit Hinweisen), erhellen, dass der ersuchte Staat eine Ausscheidung von Unterlagen, wie sie hier zur Diskussion steht, selber vornehmen muss (allenfalls unter - auf das Nötigste begrenzter - Mitwirkung von Vertretern des ersuchenden Staates). Würde eine solche Ausscheidung grundsätzlich an den ersuchenden Staat delegiert, so würden dadurch - selbst wenn dieser einen neutralen Experten beiziehen würde - die Regelungen betreffend Spezialitätsgrundsatz (bzw. -vorbehalt) und Schutz der Geheimsphäre des betroffenen Beschuldigten sowie allfälliger Dritter ernsthaft in Frage gestellt.

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