Urteilskopf
117 Ia 10
3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. Januar 1991 i.S. V. gegen Obergericht des Kantons Appenzell A.Rh. (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Art. 4 BV
;
Art. 129 StPO
/AR; Telefonüberwachung; Verwertbarkeit der Aufzeichnungen.
1. Nach
Art. 129 StPO
/AR sind die Ergebnisse einer Telefonüberwachung nur gegen den Beschuldigten bzw. Verdächtigen verwertbar, dem diese Eigenschaft aufgrund eines ernsthaften Verdachts bereits im Zeitpunkt der Überwachung zukam (E. 4d).
2. Bei Telefonüberwachungen findet
Art. 179octies StGB
als bundesrechtliche Minimalgarantie Anwendung (E. 4d).
In der Nacht vom 10. auf den 11. April 1988 wurden im Café "Spörri" in Teufen vier Zeller-Bilder gestohlen. Im Laufe der Ermittlungen ergab sich bald der Verdacht, dass als Täter B. in Frage komme, denn er hatte die gestohlenen Bilder Drittpersonen zum Kauf angeboten. Es wurde eine Überwachung seines Telefonanschlusses angeordnet. Die Überwachung ergab unter anderem, dass zwischen B. und V. zwei Telefongespräche geführt wurden. In der Folge wurde V., gegen den damals keine Verdachtsmomente bestanden, als Zeuge einvernommen. Der Verhörrichter hegte im Zeitpunkt dieser Einvernahme vielmehr einen starken Verdacht gegen B., der damals aber noch hartnäckig bestritt, den Diebstahl verübt zu haben. Durch die Telefonüberwachung erhoffte sich der Verhörrichter Hinweise von V., die ihn im Verfahren gegen B. hätten weiterbringen können. Das Ergebnis dieser Telefonkontrolle wurde später aber verwendet, um V. eine falsche Aussage anlässlich seiner am 11. Mai erfolgten Befragung als Zeuge nachweisen zu können. V. wurde wegen dieses Delikts zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, wobei ihm der bedingte Strafvollzug gewährt wurde.
Aus den Erwägungen:
4.
Der Beschwerdeführer erachtet die Verwendung des Ergebnisses der Telefonkontrolle als widerrechtlich und rügt eine willkürliche Auslegung von
Art. 129 StPO
/AR.
a) Er wendet ein, die Voraussetzungen von
Art. 129 StPO
/AR seien nicht erfüllt. Insbesondere müsste, was vorliegend nicht erfüllt sei, die in
Art. 179octies Abs. 2 StGB
erwähnte Voraussetzung bereits im Zeitpunkt der Überwachung gegeben sein. Die Ausführungen des Obergerichts über das Verhältnismässigkeitsprinzip würden daher ins Leere stossen.
b) Nach der Rechtsprechung zur Begründung von staatsrechtlichen Beschwerden muss der Beschwerdeführer dartun, worin die
BGE 117 Ia 10 S. 12
Verletzung der verfassungsmässigen Rechte besteht, die er anruft. Handelt es sich um eine Willkürbeschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
, genügt es nicht, wenn er bloss den angefochtenen Entscheid kritisiert, wie er dies in einem appellatorischen Verfahren tun könnte, bei dem die Rechtsmittelinstanz die Rechtsanwendung frei überprüfen kann. Er muss deutlich dartun, welche Vorschriften oder allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze die kantonalen Behörden in einer gegen
Art. 4 BV
verstossenden Weise verletzt haben sollen (
BGE 107 Ia 186
/187 und dortige Hinweise).
Seiner Begründungspflicht ist der Beschwerdeführer höchstens in dem Masse nachgekommen, als der Überschrift der Rüge entnommen werden kann, dass er ebenfalls
Art. 129 StPO
/AR insofern angefochten wissen will, als das Obergericht diese Bestimmung willkürlich angewendet haben soll. Damit ist auch gesagt, dass weitergehende Rügen z.B. der Verfassungsmässigkeit der angefochtenen Bestimmungen nicht erhoben wurden (ausführlich zur Überwachung des Post-, Telefon- und Telegrafenverkehrs und Einsatz technischer Überwachungsgeräte
BGE 109 Ia 273
).
c) Das Obergericht erachtete die Verwertbarkeit der gegen B. angeordneten Telefonüberwachung, insbesondere eines Gespräches vom 14. April 1988 zwischen B. und dem Beschwerdeführer, auch im vorliegenden Verfahren, wo es um die Anklage des falschen Zeugnisses gegen den Beschwerdeführer geht, als mit den Bestimmungen der ausserrhodischen Strafprozessordnung vereinbar.
d) Gemäss
Art. 129 StPO
/AR dürfen die Ergebnisse von Überwachungsmassnahmen nach Art. 125 und 126 in einem andern Strafverfahren als demjenigen, für das sie angeordnet worden sind, nicht verwendet werden, ausser wenn auch für das andere Verfahren die Voraussetzungen der Art. 125 und 126 gegeben sind; nach
Art. 125 Abs. 1 Ziff. 1 StPO
/AR kann zur Abklärung der Straftat oder zur Ermittlung des Täters im Rahmen der Bundesgesetzgebung der Post-, Postcheck- und Fernmeldeverkehr folgender Personen überwacht werden: des Beschuldigten; der Verdächtigen, sofern ernsthafte Gründe für die Planung einer Straftat sprechen, sowie unter gewissen Voraussetzungen von Drittpersonen.
Aus dieser Regelung ergibt sich, dass grundsätzlich die Ergebnisse einer Telefonüberwachung nur gegen den Beschuldigten beziehungsweise gegen den Verdächtigen verwertbar sind; darüber hinaus muss die Überwachung richterlich genehmigt sein (
Art. 127 StPO
/AR).
Im vorliegenden Fall sind indessen die Voraussetzungen von
Art. 125 StPO
/AR nicht erfüllt, denn der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt der Überwachung weder Beschuldigter (Ziff. 1) noch Verdächtiger (Ziff. 2), noch Drittperson im Sinne von
Art. 125 Ziff. 3 StPO
/AR. Nicht einmal aufgrund des Telefongesprächs vom 14. April 1988 kam ihm diese Eigenschaft zu. Beschuldigter konnte er vielmehr frühestens in dem Zeitpunkt werden, als der Verdacht entstand, er könnte anlässlich der Zeugeneinvernahme vom 11. Mai 1988 falsch ausgesagt haben. Im Zeitpunkt der Telefonabhörung bestand indessen kein ernsthafter Verdacht, dass er eine Falschaussage gemacht habe oder eine solche machen könnte.
Im übrigen findet bei Telefonabhörungen auch
Art. 179octies StGB
als bundesrechtlich zwingende Minimalgarantie Anwendung (ausführlich SCHUBARTH, Kommentar, 3. Band,
Art. 179octies N 5
, und TRECHSEL, Kurzkommentar,
Art. 179octies N 1
f.; vgl. auch
Art. 66 und 72 BStP
); nach dieser Bestimmung kann die Genehmigung unter anderem nur erteilt werden für die Verfolgung oder Verhütung eines Verbrechens oder Vergehens, "dessen Schwere oder Eigenart den Eingriff rechtfertigt". Daran dürfte es indessen im Falle einer Falschaussage fehlen; die Frage braucht hier nicht entschieden zu werden, da dieser Gesichtspunkt in der Beschwerde nicht gerügt wird. Deshalb kann auch offenbleiben, ob und inwieweit diesbezüglich die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegeben wäre.
Indem das Obergericht die Verwertbarkeit der Telefonabhörung im vorliegenden Fall bejahte, obwohl offensichtlich im Zeitpunkt der Telefonüberwachung kein ernsthafter Verdacht auf falsche Zeugenaussage des Beschwerdeführers bestand, hat es
Art. 129 StPO
/AR willkürlich angewandt.