Urteilskopf
117 IV 427
73. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. November 1991 i.S. I. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 139 Ziff. 3 StGB
; In-Lebensgefahr-Bringen des Opfers.
Bei der Auslegung des Qualifikationsgrundes ist entscheidend, ob aufgrund der Tatumstände und des tatsächlichen Verhaltens des Täters die konkrete Gefahr einer tödlichen Verletzung des Opfers sehr nahe liegt. Dies trifft zu, wenn der Täter dem Opfer kaum ausreichend Luft zum Atmen lässt und ihm gleichzeitig ein Messer an die Kehle hält.
Am 22. Juni 1990 beraubten I. und G. den S. in dessen Wohnung in Zürich. I. nahm den S. in den "Schwitzkasten" und drohte, wenn er nicht ruhig sei, "kriege er bald keine Luft mehr". Gleichzeitig hielt er ihm ein Messer an die Kehle.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach die Täter unter anderem des qualifizierten Raubes im Sinne von
Art. 139 Ziff. 3 StGB
(In-Lebensgefahr-Bringen des Opfers) schuldig. Das Bundesgericht weist eine gegen diesen Schuldspruch gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde des I. ab.
Aus den Erwägungen:
3.
b) aa) Gemäss
Art. 139 Ziff. 3 StGB
ist die Strafe unter anderem dann Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, wenn der Täter das Opfer in Lebensgefahr bringt. Erforderlich ist eine naheliegende, konkrete, eine unmittelbare, akute, eine hochgradige Lebensgefahr. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, bestimmt sich nach objektiven Kriterien, und es ist unerheblich, inwieweit der Täter seine Drohung auch verwirklichen würde. In subjektiver Hinsicht muss er aber erkennen, dass er das Opfer mit seinem Vorgehen in Lebensgefahr bringt. Sein Vorsatz muss sich also auf die Verwirklichung der Todesgefahr richten. Dabei genügt Eventualvorsatz (
BGE 117 IV 426
E. d).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann der Einsatz einer Stichwaffe geeignet sein, eine solche Lebensgefahr zu schaffen, wenn beispielsweise ein Dolch mit einer scharfen Spitze in einem Abstand von einigen Zentimetern gegen den Hals oder quer dazu gehalten wird und deshalb die Gefahr besteht, dass wegen eines Handgemenges oder einer geringfügigen Bewegung des Opfers oder des Täters eine lebensgefährliche Verletzung eintritt (vgl.
BGE 114 IV 9
ff.).
bb) Die Vorinstanz ging davon aus, bei einem Raub lasse sich das Geschehen, namentlich wenn es zu einem Gerangel zwischen Tätern und Opfer komme, nicht kontrollieren; auch wenn im vorliegenden Fall nur die stumpfe Seite der Schneide gegen die Kehle des Opfers gerichtet gewesen sei, habe es lediglich einer Reflexbewegung eines Beteiligten bedurft, "um das Messer bzw. die Klinge mit der Spitze in den Hals eindringen zu lassen und dabei die Schlagader des Opfers zu verletzen"; zudem habe der Geschädigte im Schlafzimmer "kaum ausreichend Luft zum Atmen" gehabt; es liege auf der Hand, dass in einer solchen Situation mit "dem Eindringen der Klinge in die Kehle bei einer Reflexbewegung" zu rechnen gewesen sei.
In Anwendung der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Lebensgefahr ist im vorliegenden Fall der Schuldspruch gemäss
Art. 139 Ziff. 3 StGB
nicht zu beanstanden. Lebensgefahr bestand ganz klar insbesondere in der letzten Phase des Geschehens, als der Geschädigte nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz "kaum ausreichend Luft zum Atmen" hatte und ihm der Beschwerdeführer erneut das Messer an die Kehle hielt; dass eine solche Situation für einen um Luft Ringenden unmittelbar und hochgradig lebensgefährlich ist, kann im Ernst nicht bezweifelt werden. Gegen diese Betrachtungsweise vermag die Beschwerde denn auch nichts vorzubringen.
In subjektiver Hinsicht ist ohne weiteres davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die durch sein Verhalten eingetretene Lebensgefahr für das Opfer erkannte. Folglich sprach ihn die Vorinstanz zu Recht wegen lebensgefährlichen Raubes im Sinne von
Art. 139 Ziff. 3 StGB
schuldig.