Urteilskopf
119 IV 134
24. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. Juli 1993 i.S. W. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 169 und 289 StGB
; Verstrickungsbruch; Bruch amtlicher Beschlagnahme.
Die Verurteilung wegen Verstrickungsbruchs nach
Art. 169 StGB
erfordert neben dem Vorsatz in bezug auf die Eigenmächtigkeit jenen der Gläubigerschädigung (Klarstellung der Rechtsprechung). Fehlt der Vorsatz der Gläubigerschädigung, kommt eine Bestrafung wegen Bruchs amtlicher Beschlagnahme gemäss
Art. 289 StGB
in Betracht.
A.-
W., Eigentümer eines Personenwagens "Mercedes Benz 190E", vermietete diesen an M. Im Rahmen eines gegen M. laufenden Betreibungsverfahrens wurde der Personenwagen am 27. Februar 1990 gepfändet. W. hatte Kenntnis von der Pfändung. Insbesondere war ihm mit Schreiben vom 16. März 1990 die gesetzliche Frist gemäss
Art. 107 SchKG
zur Bestätigung seines Eigentums durch Anhebung der Widerspruchsklage gesetzt worden. Am 20. März 1990 brachte M. den Wagen dem W. auf dessen Verlangen zurück. W. verkaufte das Fahrzeug darauf an einen Dritten.
B.-
Mit Strafbefehl vom 6. Januar 1992 verurteilte die Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Landschaft W. wegen Verstrickungsbruchs zu 14 Tagen Gefängnis, bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren.
Auf seine Einsprache hin sprach ihn das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft am 7. August 1992 mangels Beweises des subjektiven Tatbestandes frei.
Auf Appellation der Staatsanwaltschaft verurteilte das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft W. am 22. Dezember 1992 wegen Verstrickungsbruchs zu einer Gefängnisstrafe von fünf Tagen, bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren.
C.-
W. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Aus den Erwägungen:
2.
a) Wer über eine amtlich gepfändete oder über eine Sache, die in einem Betreibungsverfahren amtlich aufgezeichnet ist, eigenmächtig zum Nachteil der Gläubiger verfügt, wird nach
Art. 169 StGB
mit Gefängnis bestraft. Dieser Tatbestand des sogenannten Verstrickungsbruchs ist abzugrenzen vom Tatbestand des Bruchs amtlicher Beschlagnahme gemäss
Art. 289 StGB
. Danach wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer eine Sache, die amtlich mit Beschlag belegt ist, der amtlichen Gewalt entzieht. Bricht der Täter amtliche Beschlagnahme, ohne dabei zum Nachteil der Gläubiger zu handeln, scheidet eine Bestrafung wegen Verstrickungsbruchs gemäss
Art. 169 StGB
aus. Zu bestrafen ist hier ausschliesslich nach
Art. 289 StGB
.
b) Das Tatbestandsmerkmal der Gläubigerbenachteiligung gemäss
Art. 169 StGB
hat teilweise eine sehr weite Auslegung erfahren (vgl. ALBRECHT, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Besonderer Teil, Band 2, Art. 169 N. 29). Danach wird nicht verlangt, dass der Gläubiger in der Betreibung einen Verlust erleidet. Vielmehr genügt irgendein Nachteil, selbst wenn er bloss vorübergehender Natur ist, wie etwa die Verhinderung der sofortigen Verwertung einer gepfändeten Sache (
BGE 75 IV 64
). Dagegen wird eingewandt, das Tatbestandsmerkmal der Gläubigerbenachteiligung verliere damit seine selbständige Bedeutung und werde praktisch aufgelöst; das Nachteilserfordernis sei, wenn man dieser Auslegung folge, bei eigenmächtigen Verfügungen immer erfüllt (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 4. Aufl., S. 415 N. 14; ALBRECHT, a.a.O.). Die geschilderte Auslegung dehne den Rahmen der Strafbarkeit über Gebühr aus, und es gehe der
BGE 119 IV 134 S. 136
Charakter von Art. 169 als Vermögensdelikt verloren. Wo eine vermögensrechtliche Schädigung nicht bestehe, müsse im Einzelfall die Anwendung von
Art. 289 StGB
geprüft werden (ROBERT HAUSER, Der Schutz von Schuldbetreibung und Konkurs durch das Strafrecht, in: Festschrift 100 Jahre SchKG, Zürich 1989, S. 52 f.).
Dieser Kritik ist zuzustimmen. Deshalb ist zumindest zu fordern, dass dem Täter subjektiv neben dem eigentlichen Vorsatz der Wille der Gläubigerbenachteiligung nachgewiesen wird (vgl. ALBRECHT, a.a.O., N. 30 und 33 ff.). Es ist also jedenfalls in subjektiver Hinsicht zu fordern, dass der Täter zumindest in Kauf genommen hat, durch die eigenmächtige Verfügung werde ein Gläubiger geschädigt.
c) aa) Der gepfändete Mercedes befand sich im Zeitpunkt der Pfändung im Gewahrsam des Schuldners. Nach
Art. 106 SchKG
wird in einem solchen Falle, wenn ein Dritter die gepfändete Sache als Eigentum beansprucht, in der Pfändungsurkunde davon Vormerkung genommen oder, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besondere Anzeige gemacht. Gleichzeitig wird dem Gläubiger eine Frist von zehn Tagen angesetzt, innerhalb welcher er beim Betreibungsamt den Anspruch des Dritten bestreiten kann. Nur dann, wenn keine Bestreitung erfolgt, gilt der Anspruch des Dritten als anerkannt. Im Falle der Bestreitung fordert das Betreibungsamt den Dritten auf, binnen zehn Tagen gerichtliche Klage zu erheben (
Art. 107 Abs. 1 SchKG
). Kommt der Dritte der Aufforderung nicht nach, so wird angenommen, er verzichte auf seinen Anspruch (
Art. 107 Abs. 3 SchKG
).
Das Betreibungsamt setzte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 16. März 1990 Frist zur Klage an mit dem Hinweis, dass der Gläubiger durch schriftliche Erklärung vom 12. März seine Eigentumsansprache bestritten habe.
bb) Die Vorinstanz führt in bezug auf die Frage, ob der Beschwerdeführer den subjektiven Tatbestand von
Art. 169 StGB
erfüllt habe, folgendes aus: Der Vorsatz müsse sich auf sämtliche Merkmale des objektiven Tatbestandes beziehen. Insbesondere sei das Bewusstsein des Täters erforderlich, dass die betreffende Sache in ein Betreibungsverfahren verstrickt sei. Dieses Bewusstsein sei zu bejahen. Der Beschwerdeführer habe sich gegen die Pfändung des Fahrzeuges gewehrt und habe nach eigenen Angaben mit dem Anwalt des Gläubigers und mit dem Betreibungsamt telefoniert und dabei auch Fotokopien seiner Checks und seines Vertrages mit dem Schuldner versandt. Die vom Betreibungsamt zugestellte Fristansetzung zur Freigabeklage habe er ignoriert und habe statt dessen eine
BGE 119 IV 134 S. 137
eigenmächtige Lösung gewählt, indem er veranlasst habe, dass das gepfändete Automobil in seinen Besitz gebracht werde. Er habe sich bewusst sein müssen, dass er die Befreiung des vermieteten Automobils aus dem Pfändungsbeschlag nicht durch eigenmächtiges Inbesitznehmen und Verkaufen des Pfandobjektes habe ersetzen dürfen. Die Vorinstanz bejaht deshalb den subjektiven Tatbestand von
Art. 169 StGB
. Der Beschwerdeführer habe seine Selbsthilfe unter Missachtung des vom Betreibungsamt vorgesehenen Verfahrens nicht ohne jedes Gefühl der Rechtswidrigkeit vornehmen können, so dass auch ein Verbotsirrtum im Sinne von
Art. 20 StGB
auszuschliessen sei. Bei der Strafzumessung geht die Vorinstanz von einem geringen Schuldvorwurf aus, weil der Beschwerdeführer nach seiner Auffassung über "sein" Auto verfügt und lediglich das zur Befreiung aus dem Pfändungsbeschlag gebotene komplizierte Verfahren missachtet habe.
Die Vorinstanz äussert sich somit zur Frage des Vorsatzes betreffend die Eigenmächtigkeit, nicht aber in bezug auf die Gläubigerbenachteiligung. Dies genügt nach dem Gesagten nicht für die Bejahung des Vorsatzes von
Art. 169 StGB
, sondern kann nur zur Bestrafung wegen Bruchs amtlicher Beschlagnahme führen. Eine Verurteilung wegen Verstrickungsbruchs setzt über die Eigenmächtigkeit hinaus hinreichende tatsächliche Feststellungen dazu voraus, dass der Beschwerdeführer den Vorsatz hatte, den Gläubiger zu schädigen. In diesem Zusammenhang wird die Vorinstanz auf die von ihr erwähnten Kontakte zwischen dem Beschwerdeführer und dem Anwalt des Gläubigers einzugehen und abzuklären haben, ob der Beschwerdeführer, als er den Wagen zurücknahm, aufgrund des Schreibens des Anwaltes des Gläubigers sowie der übermittelten Unterlagen allenfalls davon ausging, der Gläubiger sei mit der Rücknahme des Wagens einverstanden. Diesfalls würde, da der Gläubiger auf seine privaten Vermögensinteressen verzichten kann, der Vorsatz der Gläubigerschädigung entfallen. Falls der Beschwerdeführer auch noch zum Zeitpunkt des Verkaufes des Wagens davon ausgegangen sein sollte, der Gläubiger habe seinen Eigentumsanspruch anerkannt, müsste der Vorsatz von
Art. 169 StGB
verneint werden.
3.
Das Urteil ist deshalb in teilweiser Gutheissung der Beschwerde aufzuheben, damit die Vorinstanz im Lichte der vorstehenden Erwägungen erneut prüfe, ob der Beschwerdeführer den Vorsatz der Gläubigerschädigung hatte. Verneint sie dies, wird sie den Beschwerdeführer, soweit nach kantonalem Prozessrecht zulässig
BGE 119 IV 134 S. 138
und gegebenenfalls unter Beachtung der Vorschriften über die Gewährung des rechtlichen Gehörs (vgl.
BGE 119 IV 15
,
BGE 113 IV 71
,
BGE 98 IV 245
E. b), wegen Bruchs einer amtlichen Beschlagnahme im Sinne von
Art. 289 StGB
bestrafen.