Urteilskopf
121 IV 269
43. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Oktober 1995 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen C. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 185 Ziff. 2 StGB
; qualifizierte Geiselnahme; Drohung, das Opfer zu töten; Einsatz einer ungeladenen Pistole.
Objektive Voraussetzung der Qualifikation aufgrund der Umstände bejaht bei einer Geiselnahme, bei welcher der Täter die Geisel in Anwesenheit der Polizei mit einer ungeladenen Pistole bedroht hat (E. 1c; Konkretisierung der mit
BGE 121 IV 178
begründeten Rechtsprechung).
A.-
C. heiratete im Juli 1990 P. Im September 1991 kam es zur Trennung. Am Abend des 22. Februar 1992 fand C., der sich mit dem Scheitern der ehelichen Beziehung nicht abfinden konnte, P. in Begleitung von N. im Restaurant "X." in Zürich vor. C. forderte seine Ehefrau auf, vor das Restaurant zu kommen, um mit ihm zu sprechen. Danach wartete er vor dem Restaurant während ca. einer Viertelstunde. In deren Verlauf behändigte er aus seinem Personenwagen eine Pistole der Marke "SIG", Kal. 9 mm, und lud sie mit einer einzigen Patrone. Nachdem P. gesehen hatte, wie C. mit der Waffe in der Hand wieder Richtung Eingang kam, trat sie vor das Restaurant. C. hielt seine Ehefrau darauf fest und stiess sie derart gegen die Scheibe der Glaseingangstüre, dass sie dort den Kopf anschlug. Nachdem auch N. vor das Restaurant getreten war, kam es zwischen ihm und C. zu einer verbalen Auseinandersetzung. C. zielte dabei mit der Pistole auf N. und forderte ihn auf, sich wegzubegeben. Da N. sich nicht beeindrucken liess und auf C. zuging, zielte C. mit der entsicherten Pistole seitlich neben N. auf den Boden und feuerte einen Schuss ab.
In der Folge trafen zwei uniformierte Polizeibeamte am Tatort ein und nahmen, nachdem sie von P. über den Ablauf der Ereignisse orientiert worden waren, die Verfolgung von C. auf. Während der Verfolgung richtete C. seine nun nicht mehr geladene Pistole in einem Abstand von wenigen Metern gegen die ihm nacheilenden Polizeibeamten. Es gelang ihm, ins Restaurant zurückzukehren. Dort begab er sich sofort zu seiner Ehefrau, hielt sie fest und richtete die Pistole gegen ihren Kopf. Die wenige Meter hinter ihm ins Restaurant gestürmten Polizeibeamten, die ihre Dienstwaffe in den Händen hielten, forderten die übrigen Gäste zum Verlassen des Restaurants auf. C. versetzte seiner Ehefrau mit der Pistole einen Schlag und begab sich mit ihr in Richtung Saal im oberen Stockwerk des Restaurants. Kurz danach kam er mit ihr wieder ins Parterre, wobei er sie weiterhin mit der Waffe bedrohte und sie derart in ihrer Gewalt hielt. Die beiden Polizeibeamten liessen es deshalb zu, dass C. mit der Geisel das Restaurant verliess. Nachdem in der Zwischenzeit auch die Überfallgruppe der Stadtpolizei Zürich am Tatort eingetroffen war, begab sich C. mit seiner Ehefrau zu seinem Personenwagen. Er befahl ihr, sich ans Steuer zu setzen. Er selber nahm auf dem Hintersitz Platz und richtete von dort die Waffe auf den Hinterkopf seiner Ehefrau. Er forderte die vor dem Personenwagen stehenden Polizeibeamten auf, die Türen des Fahrzeugs zu schliessen. Dabei drohte er, P. zu erschiessen, falls seine Forderung nicht erfüllt werde. Die Polizeibeamten, welche die Drohung ernst nahmen, duldeten es deshalb, dass C. mit seiner Ehefrau wegfuhr. Die Polizei verlor in der Folge den Kontakt zum Fahrzeug. Am folgenden Tag konnte C. verhaftet werden.
B.-
Am 21. April 1995 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich C. unter anderem wegen Geiselnahme gemäss
Art. 185 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
im Zusatz zu einem Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen zu 3 1/2 Jahren Gefängnis. Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Obergericht eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit etwa in mittlerem Grade. Es ordnete eine stationäre Massnahme nach
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
an und schob den Vollzug der Strafe auf.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zum Schuldspruch wegen qualifizierter Geiselnahme nach
Art. 185 Ziff. 2 StGB
an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Aus den Erwägungen:
1.
a) Gemäss
Art. 185 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
wird mit Zuchthaus bestraft, wer jemanden der Freiheit beraubt, entführt oder sich seiner sonstwie bemächtigt, um einen Dritten zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung zu nötigen. Die Strafe ist Zuchthaus nicht unter drei Jahren, wenn der Täter droht, das Opfer zu töten, körperlich schwer zu verletzen oder grausam zu behandeln (
Art. 185 Ziff. 2 StGB
).
Der Beschwerdegegner hat den Grundtatbestand der Geiselnahme unstreitig erfüllt. Es stellt sich einzig die Frage, ob die Qualifikation nach Ziff. 2 gegeben sei.
b) (Zusammenfassung der mit
BGE 121 IV 178
begründeten Rechtsprechung).
c) P. wusste nicht, dass der Beschwerdegegner seine Pistole nur mit einer einzigen Patrone geladen hatte. Sie glaubte nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
), der Beschwerdegegner könne seine Drohung wahrmachen. Sie wurde deshalb in Todesangst versetzt. Es bestand für sie somit das Risiko eines Schocks. Ihre psychische Belastung während der Geiselnahme war beträchtlich. Sie war dabei, als der Beschwerdegegner N. bedroht und dabei einen Schuss abgegeben hatte, und sie befürchtete in der ersten Phase im Restaurant, dass der Beschwerdegegner sie erschiessen würde. Der Beschwerdegegner, der nach den Feststellungen im angefochtenen Entscheid sehr nervös war, richtete die Pistole wiederholt gegen ihren Kopf. Er versetzte ihr zudem mit der Pistole einen Schlag. Aus dem angefochtenen Urteil geht zwar nicht hervor, wie lange die Geiselnahme genau gedauert hat. Aufgrund des Ablaufs der Ereignisse - der Beschwerdegegner begab sich mit der Geisel zunächst in den oberen Stock des Restaurants, dann wieder ins Parterre, anschliessend vor das Restaurant und schliesslich zu seinem Personenwagen - liegt es jedoch auf der Hand, dass die Geiselnahme länger als nur, wie in
BGE 121 IV 178
, einige Sekunden gedauert hat. Es bestand überdies die naheliegende Möglichkeit einer Befreiungsaktion durch die Polizei mit Risiken auch für die Geisel. Bereits zu Beginn der Geiselnahme waren zwei Polizeibeamte mit gezogener Dienstwaffe anwesend. Später traf auch noch die Überfallgruppe der Stadtpolizei Zürich am Tatort ein. Trotz dieser Polizeipräsenz setzte der Beschwerdegegner die Geiselnahme fort.
Bei dieser Sachlage sind die Rechtsgüter der Geisel objektiv erheblich stärker beeinträchtigt worden, als das beim Grundtatbestand der Fall ist. In
BGE 121 IV 178
wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich dort um einen Grenzfall handelte (E. 2e). Hier sind die Rechtsgüter der Geisel aber deutlich stärker betroffen worden: Im Unterschied zu jenem Fall gab der Beschwerdegegner vor der Geiselnahme in Anwesenheit der späteren Geisel einen Schuss ab. Er hielt der Geisel die Pistole wiederholt gegen den Kopf und versetzte ihr zudem mit der Waffe einen Schlag; in
BGE 121 IV 178
tat der Täter der Geisel über die kurze Bedrohung hinaus demgegenüber nichts an. Im vorliegenden Fall schliesslich waren Polizeibeamte am Tatort mit gezogener Dienstwaffe anwesend, in dem in
BGE 121 IV 178
zu beurteilenden Fall dagegen nicht.
d) Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie wird sich darüber auszusprechen haben, ob die gegenüber dem Grundtatbestand objektiv erheblich stärkere Beeinträchtigung der Rechtsgüter der Geisel vom Vorsatz des Beschwerdegegners umfasst war. Bejahendenfalls wird sie ihn der qualifizierten Geiselnahme nach
Art. 185 Ziff. 2 StGB
schuldig zu sprechen haben.