BGE 124 IV 154 vom 8. Juni 1998

Datum: 8. Juni 1998

Artikelreferenzen:  Art. 43 StGB, Art. 187 StGB, Art. 189 StGB, Art. 190 StGB , Art. 189 und 190 StGB, Art. 187 Ziff. 1 StGB, Art. 189 Abs. 1 StGB, Art. 190 Abs. 1 StGB, Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB

BGE referenzen:  116 IV 319, 119 IV 309, 122 IV 97, 126 IV 124, 128 IV 97, 128 IV 106, 131 IV 107, 131 IV 167, 146 IV 153 , 122 IV 97, 119 IV 309, 116 IV 319

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

124 IV 154


28. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofs vom 8. Juni 1998 in Sachen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und X. gegen Y. (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 187, 189, 190 sowie 68 Ziff. 1 StGB; sexueller Kindsmissbrauch, psychischer Druck; Konkurrenz.
Erfüllen sexuelle Handlungen mit Kindern zugleich die Tatbestände der sexuellen Nötigung oder der Vergewaltigung, ist echte Konkurrenz anzunehmen (E. 3a).
Ein Kind kann ohne eigentliche Gewaltanwendung aufgrund physischer Dominanz, kognitiver Unterlegenheit sowie emotionaler und sozialer Abhängigkeit unter psychischen Druck gesetzt werden, namentlich beim Missbrauch durch Autoritätsträger des gleichen Haushalts (E. 3b).
Diese Voraussetzungen erfüllt ein Täter, der seine Stellung als väterlicher Freund des Kindes und Partner der Mutter gezielt zum sexuellen Missbrauch des Kindes ausnützt (E. 3c).

Sachverhalt ab Seite 154

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Y. hielt sich in der Zeit von Anfang 1994 bis März/April 1995 häufig in der Wohnung seiner Freundin auf und nahm gegenüber deren Tochter (geb. 1984) quasi eine Vaterrolle mit entsprechender Autorität ein. In dieser Zeit hatte er sexuelle Kontakte mit der Tochter.
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Das Bezirksgericht Zürich fand Y. am 15. März 1996 schuldig der mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind ( Art. 187 Ziff. 1 StGB ), der mehrfachen sexuellen Nötigung ( Art. 189 Abs. 1 StGB ) und der mehrfachen Vergewaltigung ( Art. 190 Abs. 1 StGB ). Es bestrafte ihn mit 4 Jahren Zuchthaus und ordnete eine ambulante Behandlung während des Strafvollzugs an ( Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ). Es verpflichtete ihn, Fr. 20'000.-- Genugtuung sowie den Selbstbehalt der Therapiekosten zu zahlen, und wies die Zivilforderungen der Geschädigten und der Justizdirektion ab.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach ihn im Appellationsverfahren am 7. November 1996 von der Anklage der mehrfachen sexuellen Nötigung und der mehrfachen Vergewaltigung frei. Es verurteilte ihn wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind ( Art. 187 Ziff. 1 StGB ) zu 3 Jahren Gefängnis. Es bestätigte im übrigen das Urteil des Bezirksgerichts.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und die Geschädigte erheben Nichtigkeitsbeschwerden mit den sachlich übereinstimmenden Anträgen, das Urteil des Obergerichts (wegen Verletzung von Art. 189 und 190 sowie eventuell 191 StGB) aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die kantonale Behörde zurückzuweisen.
Y. beantragt in seinen Vernehmlassungen, die Beschwerden abzuweisen.
Das Bundesgericht hat beide Nichtigkeitsbeschwerden gutgeheissen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. a) Die Vorinstanz führt aus, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung setzten neben den sexuellen Handlungen zusätzlich voraus, dass sie unter anderem durch Drohung, Gewaltanwendung oder psychischen Druck erzwungen werden. Anklage und Bezirksgericht sähen eine solche Nötigung im allgemeinen sozialen Umfeld; der Beschwerdegegner habe nämlich seine generelle Überlegenheit als Erwachsener, seine vaterähnliche Autorität als Freund der Mutter, aber auch die freundschaftlichen Gefühle des Kindes ihm gegenüber ausgenützt und es damit einem Druck ausgesetzt, der keinen Widerstand ermöglicht habe. Dem könne nicht gefolgt werden. Erforderlich seien ein Druckausübung vor der Tat und im Hinblick auf die Tat sowie eine klar umrissene Handlung des Täters und ein finaler wie auch ein zeitlicher Kausalzusammenhang. Das Nötigungsmittel
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müsse geeignet sein, die Tat nach den konkreten Umständen trotz Verweigerung auszuführen oder die Unterwerfung des Opfers verständlich erscheinen zu lassen. Allein das Ausnützen eines allgemeinen Abhängigkeits- oder Freundschaftsverhältnisses stelle keine Nötigungshandlung dar. Dieser Unrechtsgehalt werde bereits durch Art. 187 StGB abgegolten. Der sexuelle Kindsmissbrauch finde überwiegend innerhalb einer verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehung statt. Das Ausnützen altersmässiger Überlegenheit, emotionaler und sozialer Bindungen sowie allgemeiner Verlustängste sei bei Art. 187 StGB in diesem Sinne deliktstypisch; es bedürfe in dieser Situation in der Regel auch keiner zusätzlichen Drohungen. Die Abnahme eines nachträglichen Versprechens, den Missbrauch geheim zu halten - ohne Nachteile anzudrohen oder Vorteile in Aussicht zu stellen -, bilde keine Nötigungshandlung.
Die Anklage nenne keine speziellen Nötigungshandlungen, mit denen der Beschwerdegegner das Kind gefügig gemacht hätte. Er habe auswärts gewohnt und sei für eine halbe bis ein paar Stunden zu Besuch gekommen. Es habe kein Konkubinat bestanden. Obwohl eine Art Vaterfigur, könne nicht von einem sehr komplizierten, feingesponnenen und deshalb auch sehr stabilen Netz gesprochen werden, in dem das Kind gefangen gewesen wäre, und er habe auch nicht akribisch eine Zwangslage geschaffen, die über ein bereits vom Unrechtsgehalt des Art. 187 StGB erfasstes allgemeines Abhängigkeitsverhältnis hinausgegangen wäre. Er habe keine Gewalt oder Drohung ausgeübt. Er habe das Kind lediglich ersucht, niemandem von seinen Handlungen zu erzählen, ihm aber weder einen Vorteil versprochen, wenn es mitmache, noch ihm gedroht für den Fall, dass es sie nicht zulasse bzw. jemandem davon erzähle. Das Kind habe denn auch gesagt, dass es den Beschwerdegegner immer noch gerne habe.
b) Die Staatsanwaltschaft wendet ein, der Beschwerdegegner habe eine vaterähnliche Rolle mit Erziehungsfunktion und das volle Vertrauen der Kindsmutter gehabt. Er habe gewusst, dass sich das Kind, das ohne Vater aufgewachsen sei, eine männliche Bezugsperson gesucht habe, an die es sich habe anlehnen können. Nach der Vorinstanz habe er seine Stellung als väterlicher Freund des Kindes und Partner der Kindsmutter gezielt und schamlos zur Befriedigung seiner eigenen sexuellen Bedürfnisse missbraucht; auch hätte die anfängliche Reaktion des Kindes und der Kindsmutter gezeigt, dass beide an ihm hingen, ihn gerne hatten und aus diesem Grund lange
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Zeit nicht willens gewesen seien, wegen des Missbrauchs die Beziehung aufs Spiel zu setzen. Die Vorinstanz erwähne weiter eine sexualisierte Machtausübung.
Dass die Abnahme eines Versprechens keine nötigende Handlung sei, müsse relativiert werden, weil sie ein Kind veranlasse, auch in Zukunft sexuelle Handlungen über sich ergehen zu lassen und sich nicht zu wehren. So habe das Kind Dritten den Missbrauch erst erzählt, als in der Schule das Thema «erzwungene Versprechen sind keine Versprechen» diskutiert worden sei. Es sei durch die Ermahnung, nichts zu erzählen, massiv unter Druck geraten, zumal es gewusst habe, dass der Beschwerdegegner, den es geliebt habe, für seine Handlungen ins Gefängnis gesperrt werden könnte. Es habe sich daher in einer ausweglosen Situation befunden, es habe kapituliert und den Beschwerdegegner gewähren lassen. Die alleinige Anwendung von Art. 187 StGB solle auf Fälle beschränkt werden, in denen das Kind absolut freiwillig mitwirke. Sobald es aber irgendwelchen Zwängen oder Abhängigkeiten ausgesetzt sei, könne die Tat nicht mehr bloss unter Art. 187 StGB fallen.
c) Die Beschwerdeführerin 2 rügt wie die Staatsanwaltschaft, die Nichtanwendung von Art. 189 und 190 StGB verletze Bundesrecht. Sie zeigt die Beziehung zum Beschwerdegegner auf und macht geltend, die Handlungen gingen über eine Gefährdung ihrer Entwicklung hinaus und enthielten klar einen Angriff auf ihre sexuelle Freiheit. Die Vorinstanz verkenne, dass nur der freundschaftliche, enge und gegenseitig abhängige Rahmen zur Kindsmutter dem Beschwerdegegner den Missbrauch ermöglicht habe. Der Druck, das Geheimnis zu bewahren, habe wegen der übernommenen Vaterrolle nicht zusätzlich verstärkt werden müssen.
d) Der Beschwerdegegner macht in seinen Vernehmlassungen geltend, die Kriterien von BGE 122 IV 97 seien hier nicht gegeben.

3. a) Art. 187 StGB schützt die sexuelle Entwicklung der Kinder, die Art. 189 und 190 StGB schützen die sexuelle Freiheit. Art. 190 StGB erfasst als Spezialtatbestand zu Art. 189 StGB die Nötigung einer Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs mit erhöhter Mindeststrafdrohung von einem Jahr Zuchthaus; im übrigen stimmen die Art. 189 und 190 StGB überein. Erfüllen sexuelle Handlungen mit Kindern ( Art. 187 StGB ) zugleich die Tatbestände der sexuellen Nötigung ( Art. 189 StGB ) oder der Vergewaltigung ( Art. 190 StGB ), ist daher wegen der Verschiedenheit der Rechtsgüter echte Konkurrenz anzunehmen ( BGE 119 IV 309 E. 7; BGE 122 IV 97 E. 2a). Für diese Annahme spricht zudem die
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Auslegung der Straftatbestände nach der Strafdrohung (vgl. BGE 116 IV 319 E. 3b). Die Androhung von Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis ( Art. 187 StGB ) kann den Unrechts- und Schuldgehalt der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung mit Strafdrohungen bis zu zehn Jahren Zuchthaus und Mindeststrafdrohungen beim qualifizierten Delikt von drei Jahren Zuchthaus nicht abgelten.
In der Argumentation, sexueller Kindsmissbrauch finde überwiegend innerhalb verwandtschaftlicher oder freundschaftlicher Beziehungen statt und werde von Art. 187 StGB erfasst, so dass für die Anwendung der Art. 189 und 190 StGB kein Raum mehr bleibe, wird somit übersehen, dass sexuelle Handlungen einerseits und sexuelle Nötigung sowie Vergewaltigung andererseits verschiedene Rechtsgüter schützen, deren Verletzung durch die Bestrafung nach Art. 187 StGB nicht mitabgegolten wird. Dies entspricht herrschender Lehre (vgl. BERNARD CORBOZ, Les principales infractions, Bern 1997, S. 276; PETER HANGARTNER, Selbstbestimmung im Sexualbereich - Art. 188 bis 193 StGB, Diss. St. Gallen, Bamberg 1998, S. 244; JENNY, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, 4. Band, Bern 1997, Art. 187 N. 44; REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 7. Auflage, Zürich 1997, S. 399 f.; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Auflage, Bern 1995, § 7 N. 23; TRECHSEL, Kurzkommentar, 2. Auflage, Zürich 1997, Art. 187 N. 22).
b) Sexuelle Nötigung im Sinne von Art. 189 und 190 StGB begeht namentlich, wer bedroht, Gewalt anwendet, unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht. Damit wird im Gegensatz zum früheren Recht (Art. 188 aStGB) nicht mehr eine Widerstandsunfähigkeit vorausgesetzt. Immer ist aber eine erhebliche Einwirkung erforderlich ( BGE 122 IV 97 E. 2b). In diesem Entscheid bejahte das Bundesgericht den psychischen Druck bei einem kindlichen, leicht debilen Opfer, das vom zehnten bis zum fünfzehnten Altersjahr von einem in Lebensgemeinschaft mit der Mutter des Opfers lebenden Täter sexuell missbraucht worden war. Es berücksichtigte auf der einen Seite die Persönlichkeit des Opfers, sein Alter, seine ablehnende Haltung und seine prekäre familiäre Stellung sowie auf der anderen Seite die Autoritätsposition, den Charakter und das Schweigegebot des Täters. Es erwies sich, dass das Kind in dieser Situation ohne Rückgriff auf Gewalt oder Drohung ausserstande gesetzt wurde, sich zu widersetzen ( BGE 122 IV 97 E. 2c).
Die sexuellen Nötigungstatbestände verbieten den Angriff auf die sexuelle Freiheit. Sie gelten als Gewaltdelikte und sind damit prinzipiell
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als Akte physischer Aggression zu verstehen. Dabei stellt aber die Tatbestandsvariante des Unter-psychischen-Druck-Setzens klar, dass sich die tatbestandsmässige Auswegslosigkeit der Situation auch ergeben kann, ohne dass der Täter eigentliche Gewalt anwendet, dass dem Opfer vielmehr eine Widersetzung unter solchen Umständen nicht zuzumuten ist (vgl. JENNY, a.a.O., Art. 189 N. 23 f.; a.A. HANGARTNER, a.a.O., S. 138 ff., bes. S.141). In der früheren Literatur war eine Zweiteilung von aggressiv-gewaltsamen Handlungen im Sinne von körperlichem Zwang und von Verletzungen einerseits und von nichtgewaltsam-unaggressiven Handlungen andererseits in den Vordergrund geschoben und überbewertet worden. Im neueren Begriff der strukturellen Gewalt ist diese Polarität aufgeweicht und einer differenzierteren Betrachtung gewichen (EBERHARD SCHORSCH, Sexualität als Straftatbestand, in: Jörg Schuh und Martin Killias [Hrsg.], Sexualdelinquenz, Reihe Kriminologie, Chur 1991, S. 190). Es wird heute angenommen, ein Kind sei aufgrund seiner kognitiven Unterlegenheit und seiner Abhängigkeit in emotionaler und sozialer Hinsicht den Bedürfnissen Erwachsener mehr oder weniger ausgeliefert; es werde nach deren Bedürfnissen instrumentalisiert und emotional und körperlich ausgebeutet, wobei körperliche Gewalt vielfach gar nicht erforderlich sei. Am häufigsten würden emotionale Abhängigkeit und Bedürftigkeit ausgenützt (vgl. REINHARD FATKE, Pädophilie, in: Jörg Schuh und Martin Killias [Hrsg.], a.a.O., S. 154 f.; BARBARA KAVEMANN, Sexueller Missbrauch im Kindesalter, in: Joachim Walter [Hrsg.], Sexueller Missbrauch im Kindesalter, Heidelberg 1989, S. 17; ULRIKE BROCKHAUS/MAREN KOLSHORN, Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen, Frankfurt/New York 1993, S. 129; DIRK BANGE, Die dunkle Seite der Kindheit, Köln 1992, S. 105 ff.; JOHANN ENDRES/BERNDT SCHOLZ, Sexueller Kindesmissbrauch aus psychologischer Sicht, NStZ 1994 S. 466 ff.).
Wie die Fachliteratur nachweist, können kognitive Unterlegenheit und emotionale wie soziale Abhängigkeit einen ausserordentlichen psychischen Druck erzeugen. Dies wird namentlich beim Missbrauch durch Autoritätsträger des gleichen Haushalts in Betracht zu ziehen sein, weil hier Ängste um den Verlust der Zuneigung unmittelbar zur ernsten Bedrohung werden können. In solchen Situationen erscheint bereits die gegenüber einem Kind übermächtige Körperlichkeit des Erwachsenen, die alleinige physische Dominanz, geeignet, Elemente physischer Aggression zu manifestieren und das Gewaltkriterium zu erfüllen. Eine Tatbestandsmässigkeit setzt aber
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zumindest voraus, dass unter den konkreten Umständen das Nachgeben des Kindes verständlich erscheint ( BGE 122 IV 97 E. 2b und c; vgl. Urteile der Obergerichte der Kantone Luzern und Basel-Landschaft, SJZ 92/1996 S. 115 und 130). Ob die tatsächlichen Verhältnisse die tatbeständlichen Anforderungen eines Nötigungsmittels erfüllen, lässt sich somit erst aufgrund einer umfassenden Würdigung der relevanten konkreten Umstände entscheiden. Es ist mithin eine individualisierende Beurteilung notwendig, die sich auf hinlänglich typisierbare Merkmale stützen muss (JENNY, a.a.O., Art. 189 N. 27 f.; REHBERG/SCHMID, a.a.O., S. 392 f.). Werden die wesentlich auf Erwachsene ausgerichteten sexuellen Nötigungstatbestände nach der Konzeption des Gesetzes somit auf Kinder anwendbar, so müssen bei sexuellen Handlungen unter Ausnützung des Erwachsenen-Kind-Gefälles geringere Anforderungen an die Intensität des Nötigungsmittels gelten. Damit werden Opfergesichtspunkte in die Beurteilung einbezogen.
Unter diesen Voraussetzungen kann der psychische Druck, der bei einem Kind durch ein Schweigegebot auch ohne zusätzliche Androhung von Nachteilen oder Inaussichtstellen von Vorteilen erzeugt wird, grundsätzlich tatbestandsmässig werden. Dabei wird es auch darauf ankommen, in welcher spezifischen Lage sich ein Kind befindet, was für das Kind bei einem Bruch eines solchen Versprechens auf dem Spiel steht (SJZ 92/1996 S. 115). Das Schweigegebot stellt einen geradezu klassischen traumatisierenden Faktor sexuellen Missbrauchs dar. Doch haben es Täter des öftern gar nicht nötig, Kinder ausdrücklich zur Verschwiegenheit zu verpflichten, weil verschiedene Gründe wie Scham- oder Schuldgefühle und emotionale Abhängigkeit sie von selbst veranlassen, Dritten nichts über den Missbrauch zu erzählen (BANGE, a.a.O., S. 108 f.).
c) Im zu beurteilenden Fall war das Kind hinsichtlich der Übergriffe ohne familiären oder ausserfamiliären Halt und Schutz auf sich selbst gestellt. Es konnte sich erst einer aussenstehenden Person anvertrauen, als in der Schule das Thema «gute und schlechte Geheimnisse» behandelt wurde. Ein Schweigeversprechen in solchen Verhältnissen kann demnach ein Kind veranlassen, auch in Zukunft sexuelle Handlungen über sich ergehen zu lassen. Diesbezüglich ist der Status des Täters (ob Gatte, Konkubinatspartner oder Freund der Kindsmutter) offensichtlich weitgehend irrelevant. Wie sich zeigt, kann auch der nicht immer anwesende Täter als Freund der Kindsmutter und Inhaber einer Vaterrolle eine sehr grosse Nähe zum Kind einnehmen, sein Vertrauen erwerben und
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eine emotionale Abhängigkeit schaffen, die es ihm ermöglicht, das Kind ohne Gewalt oder Drohung zu missbrauchen. Der Beschwerdegegner erkannte diesen Zusammenhang, als er in der obergerichtlichen Verhandlung erklärte, die Vaterrolle sei gerade das Problem; sie bringe das Kind in eine wahnsinnig schwere Situation, es müsse sich nämlich entscheiden, entweder die Handlung zuzulassen oder auf die Nähe einer Person, die es gerne habe, zu verzichten. Daher lässt sich auch aus der Tatsache, dass das Kind in der polizeilichen Befragung sagte, es habe den Beschwerdegegner immer noch gerne, nichts weiter ableiten. Wie die Therapeutin ausführte, litt es vielmehr unter massiven Ängsten und konnte es kaum aushalten, geschweige denn bewältigen, was geschehen war; es litt unter Schuldgefühlen und dachte, selber Ursache all dieser Geschehnisse gewesen zu sein.
Mit dem Bezirksgericht ist daher anzunehmen, dass der Beschwerdegegner seine generelle Überlegenheit als Erwachsener, seine vaterähnliche Autorität sowie die freundschaftlichen Gefühle und die Zuneigung des Kindes ausnützte. Es ging somit nicht lediglich um ein Ausnützen allgemeiner Abhängigkeits- oder Freundschaftsverhältnisse, das die Vorinstanz noch nicht als Nötigung gelten lassen will (oben E. 2a). Im Gegenteil erkannte das Kind den Beschwerdegegner als Freund seiner Mutter, anerkannte seine Vaterautorität und suchte bei ihm die entsprechende Liebe und den Schutz, geriet aber aufgrund der mit dieser Vaterfunktion, seinem Schweigeversprechen und den Schuldgefühlen einhergehenden Tabuisierung in eine ausweglose Situation. Wie das Bezirksgericht feststellte, besass der Beschwerdegegner das volle Vertrauen der Kindsmutter, die ihm ergeben war, und wusste er, dass er die beiden Kinder (darunter das Opfer), die ohne ihren Vater aufwuchsen, in der Hand hatte; dies machte er sich zunutze. Die Vorinstanz weicht von dieser tatsächlichen Beurteilung im Wesentlichen nicht ab, wenn sie ausführt: «Er hatte seine Stellung als väterlicher Freund des Kindes und Partner der Mutter gezielt und schamlos zur Befriedigung seiner eigenen sexuellen Bedürfnisse missbraucht». Damit wurde das Kind in einen lähmenden Gewissenskonflikt getrieben, der es ausserstande setzte, sich zu widersetzen. Es liegt eine im Kern mit BGE 122 IV 97 vergleichbare Situation vor. Ein psychischer Druck im Sinne von Art. 189 Abs. 1 und Art. 190 Abs. 1 StGB muss bejaht werden.

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