Urteilskopf
124 IV 246
41. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Oktober 1998 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
; ambulante Massnahme, Begriff der ärztlichen Behandlung.
Der Begriff der ärztlichen Behandlung ist weit zu fassen; darunter können sämtliche Behandlungsformen im medizinischen Umfeld und auch solche der Paramedizin fallen, unter der Bedingung, dass sich durch die Behandlung die Gefahr weiterer mit Strafe bedrohter Taten verhindern oder vermindern lässt (E. 3; Änderung der Rechtsprechung).
A.-
Das Kriminalgericht des Kantons Luzern verurteilte B. am 17. September 1993 wegen vorsätzlicher Tötung zu vier Jahren Gefängnis bei Annahme einer in schwerem Grade verminderten Zurechnungsfähigkeit; gleichzeitig schob es den Vollzug der Freiheitsstrafe zugunsten einer ambulanten psychotherapeutischen Massnahme auf.
B.-
Am 26. August 1997 stellte das Justizdepartement des Kantons Luzern die gerichtlich angeordnete Massnahme "wegen mangelnder Einsicht, fehlender Kooperationsbereitschaft und erwiesener Obstruktion der Patientin" ein. Es überwies die Akten dem Kriminalgericht zum Entscheid darüber, ob und wieweit die aufgeschobene Freiheitsstrafe noch zu vollziehen sei.
C.-
Das Kriminalgericht entschied am 24. November 1997, die ursprüngliche Strafe von vier Jahren Gefängnis sei zu vollziehen.
Auf einen Rekurs der Betroffenen erkannte das Obergericht des Kantons Luzern, die aufgeschobene Gefängnisstrafe sei zu vollziehen, wobei für den erstandenen Massnahmevollzug ein Monat auf die Dauer der Freiheitsstrafe anzurechnen sei.
BGE 124 IV 246 S. 247
D.-
B. führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Anordnung einer ambulanten Massnahme unter Strafaufschub an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
2.
a) Erfordert der Geisteszustand des Täters ärztliche Behandlung oder besondere Pflege und ist anzunehmen, dadurch lasse sich die Gefahr weiterer mit Strafe bedrohter Taten verhindern oder vermindern, so kann der Richter gemäss
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
eine ambulante Behandlung anordnen, sofern der Täter für Dritte nicht gefährlich ist. Er kann den Vollzug der Strafe aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen (Ziff. 2 Abs. 2).
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sollte dort, wo ein Erfolg wahrscheinlich ist, tendenziell eine ärztliche Behandlung eingreifen. Der Strafaufschub ist angezeigt, wenn eine tatsächliche Aussicht auf erfolgreiche Behandlung durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe erheblich beeinträchtigt würde. Doch ist eine Beeinträchtigung nicht erst erheblich, wenn der Vollzug eine Behandlung verunmöglicht oder den Behandlungserfolg völlig in Frage stellt. Vielmehr geht die Therapie vor, sobald eine sofortige Behandlung gute Resozialisierungschancen bietet, welche der Vollzug der Freiheitsstrafe klarerweise verhindern oder vermindern würde. Diesfalls ist der Vollzug mit der Behandlung nicht vereinbar ("n'est pas compatible avec le traitement", gemäss französischem Gesetzeswortlaut). Unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgebots muss die Abnormität desto ausgeprägter sein und mithin ein Aufschub umso zurückhaltender gehandhabt werden, je länger die zugunsten der ambulanten Behandlung aufzuschiebende Freiheitsstrafe ist. Ausserdem darf die ambulante Behandlung nicht missbraucht werden, um etwa den Vollzug der Strafe zu umgehen oder ihn auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben. Der Aufschub muss sich aus Gründen der Heilbehandlung hinreichend rechtfertigen.
Angesichts einer schweren geistigen Abnormität kann somit eine längere Freiheitsstrafe zugunsten einer ambulanten Behandlung aufgeschoben werden. Dabei ist ein Widerstreit zwischen Spezial- und Generalprävention möglich, weil ihre Zielsetzungen nach unterschiedlichen Sanktionen rufen können (Behandlung ausserhalb des Strafvollzugs bzw. Vollzug der Freiheitsstrafe). Ebenso kann der
BGE 124 IV 246 S. 248
Gesichtspunkt der Spezialprävention mit dem Aspekt der rechtsgleichen Behandlung in Konflikt treten. Die Lösung lässt sich somit nicht einfach aufgrund der einen oder andern Zielsetzung finden. Die Strafzwecke stehen sich denn auch nicht unvereinbar gegenüber. Sie bilden vielmehr ein komplexes Verhältnis wechselseitiger Ergänzung, wobei je nach Sachzusammenhang das eine oder das andere Kriterium stärker hervortritt. Spezial- und Generalprävention sind gegeneinander abzuwägen und in eine Rangfolge zu bringen. Dabei gerät die Spezialprävention in zweifacher Hinsicht in den Vordergrund. Zum einen dient das Strafrecht in erster Linie nicht der Vergeltung, sondern der Verbrechensverhütung. Dies bringt der Gesetzgeber nicht nur mit der Bezeichnung der Resozialisierung als Ziel des Strafvollzuges (
Art. 37 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
) zum Ausdruck, sondern vor allem auch mit der bei der StGB Teilrevision von 1971 erfolgten Ausweitung der Möglichkeit der Anordnung von Massnahmen. Deshalb sind Sanktionen, die die Besserung oder Heilung des Täters gewährleisten, zu verhängen und solche, die dem Anliegen der Verbrechensverhütung zuwiderlaufen, möglichst zu vermeiden. Zum andern ist zu berücksichtigen, dass im Konfliktsfall ein Vorrang der Generalprävention das spezialpräventive Ziel zu vereiteln droht, die Bevorzugung der Spezialprävention hingegen die generalpräventiven Wirkungen einer Sanktion nicht ausschliesst, sondern höchstens in einer schwer messbaren Weise abschwächt; denn auch eine mildere Sanktion wirkt generalpräventiv. Andererseits gebührt den spezialpräventiven Bedürfnissen nur insoweit der Vorrang, wie generalpräventive Mindesterfordernisse noch gewahrt sind. Im Rahmen der
Art. 43 und 44 StGB
ist diese Problematik jedoch insoweit etwas relativiert, als das Gesetz gerade davon ausgeht, dass der geistig Abnorme oder Süchtige grundsätzlich massnahmebedürftig ist und - anders als der gewöhnliche Täter - einer spezifischen Sanktion bedarf (
BGE 120 IV 1
E. 2b mit Hinweisen).
Der Richter beurteilt im Rahmen des
Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
den Einzelfall unter Berücksichtigung der erwähnten Grundsätze und aller konkreten Umstände, insbesondere von Notwendigkeit und Chancen einer Behandlung im Vergleich zu den Auswirkungen des Strafvollzuges sowie des Erfordernisses, Straftaten zu ahnden. Doch selbst wenn er zum Ergebnis gelangt, eine Behandlung sei ohne Beeinträchtigung der Erfolgsaussichten vollzugsbegleitend nicht durchführbar, verlangt
Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
nicht zwingend, den Vollzug der Freiheitsstrafe auch tatsächlich aufzuschieben. Die Bestimmung ist als "Kann"-Vorschrift ausgestaltet; sie überlässt es
BGE 124 IV 246 S. 249
dem Richter, nach seinem (pflichtgemässen) Ermessen über den Strafaufschub zu befinden. In dieses weite Beurteilungsermessen des Sachrichters kann das Bundesgericht nur bei Ermessensüberschreitung oder -missbrauch eingreifen (
BGE 120 IV 1
E. 2c mit Hinweis).
c) Die Vorinstanz hat eine Weiterführung der ambulanten Behandlung mit der Begründung verweigert, die vom Gutachter empfohlene unterstützende, begleitende Therapie entspreche weder von der Qualität der in Betracht kommenden Therapeuten noch vom Therapieziel her nicht den Anforderungen des
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
. Ob dies zutrifft, ist im folgenden zu prüfen.
3.
a) Das Bundesgericht hat in
BGE 103 IV 1
unter Hinweis auf den Gesetzestext festgehalten, unter ärztlicher Behandlung - ob ambulant oder stationär durchgeführt - sei ausschliesslich die Behandlung durch einen Arzt oder unter der Aufsicht eines Arztes zu verstehen. Auch in weiteren veröffentlichten Entscheiden ist immer wieder von "ärztlicher" Behandlung die Rede (
BGE 105 IV 87
E. 2d;
BGE 108 IV 81
E. 3;
BGE 120 IV 1
E. 2).
In der Literatur ist umstritten, welche Berufsleute als Therapeuten für die Durchführung einer ambulanten Massnahme in Frage kommen. Nach REHBERG ermöglicht
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
ausschliesslich eine Behandlung, die von einem Arzt oder mindestens unter dessen Leitung durchgeführt wird (Strafrecht II, 6. Auflage, S. 153; ZStrR 93/1977, S. 173 und 178 ff.). Auch für URSULA FRAUENFELDER hat die ambulante Behandlung in einer erprobten, ärztlich durchgeführten Therapie der Schulmedizin zu bestehen; eine fürsorgerische Betreuung sei ebenso unzulässig wie eine pädagogische (Die ambulante Behandlung geistig Abnormer und Süchtiger als strafrechtliche Massnahme nach
Art. 43 und 44 StGB
, Diss. Zürich 1978, S. 109 f. und 112). Diese Ansicht stützt sich insbesondere auf den Wortlaut des Gesetzes "ärztliche Behandlung" (ebenso
BGE 103 IV 1
E. 2) und will den Missbrauch des Instituts durch eine "Pseudobehandlung" vorbeugen. In Anlehnung an den Begriff der Psychotherapie werden nebst Psychiatern auch Psychologen zur Durchführung der ambulanten Massnahme als berechtigt erachtet (TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Auflage, Art. 43 N. 9; RUDOLF KNAB, Der Massnahmevollzug gemäss StrGB Art. 43 f. und die Möglichkeiten der Psychotherapie, ZStrR 95/1978, S. 174; wohl ebenso RAINER VOSSEN, Ambulante ärztliche Behandlungen gemäss
Art. 43 und 44 StGB
im Straf- und Massnahmevollzug, SJZ 73/1977, S. 135 f.). Andere Autoren weisen
BGE 124 IV 246 S. 250
auf die Vielzahl verschiedener Therapieformen und die zunehmende Pluridisziplinarität in diesem Bereich hin und sehen weitere Fachleute wie Verhaltenstherapeuten, Sozialarbeiter, Pädagogen, Ergotherapeuten, Seelsorger usw. als mögliche Therapeuten (FERRACUTI/BRUNO, Les répercussions de ces évaluations sur la prise de décision, d'une part, et le traitement des délinquants malades mentaux, d'autre part, in: Etudes sur la responsabilité pénale et le traitement psychiatrique des délinquants malades mentaux, Conseil de l'Europe, Strasbourg 1986, S. 87 f.; RALF BINSWANGER, Probleme der Durchführbarkeit ambulanter Massnahmen nach StrGB Art. 43/44 aus psychiatrischer Sicht, ZStrR 95/1978, S. 384; STEFAN BAUHOFER, Massnahmen an "geistig abnormen" Straftätern - in Freiheit oder Unfreiheit?, in: Psychisch abnorme und drogenabhängige Rechtsbrecher, Schweizerisches Nationalkomitee für Geistige Gesundheit/Schweizerische Arbeitsgruppe für Kriminologie, Hrsg. Walter Haesler, Diessenhofen 1984, S. 426; RENATE SCHWOB, Zwangsbehandlung im Straf- und Massnahmevollzug, Diss. Basel 1981, S. 2 f. Fn 1; BENNO DUKOR, Kriminalpsychiatrie auf der Anklagebank, BJM 1973, S. 85; wohl ebenso STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, S. 392 N. 75).
b) Um einen Ausweg aus diesen gegensätzlichen Auffassungen zu finden, ist es nützlich, sich einerseits die Konzeption des
Art. 43 StGB
und anderseits deren Zielvorstellung vor Augen zu führen.
Art. 43 StGB
handelt von geistig abnormen Tätern (Randtitel), deren Tat mit ihrer psychischen Abnormität zusammenhängt. Da die Psyche durch ärztliche (psychiatrische) Behandlung beeinflusst werden kann, soll eine solche Behandlung angeordnet werden, wenn dadurch eine Heilung oder positive Beeinflussung des psychischen Zustandes zu erreichen ist und sich so die Gefahr weiterer Straftaten verhindern oder vermindern lässt. Dieses gesetzliche Konzept umschreibt RUDOLF KNAB (a.a.O., S. 176) mit den Worten: Durch sorgfältige Wahl der therapeutischen Einwirkung ... ist im Falle von Massnahmepatienten immer das Ziel des Gesetzes beim Massnahmevollzug im Auge zu behalten, welches auf dem Wege der Veränderung des Geisteszustandes (Art. 43) oder der Heilung der Sucht (Art. 44) zu erreichen ist; die erwünschte soziale Anpassung ohne kriminelle Rückfälle wird also eigentlich das Nebenprodukt der psychischen Besserung. Dieses Konzept widerspiegelt sich in den Auffassungen der ersten beiden Gruppen von Autoren (E. a), die im Rahmen der ambulanten Massnahme eine
BGE 124 IV 246 S. 251
Änderung der Psyche ausschliesslich durch psychiatrische beziehungsweise auch psychologische Behandlung als zulässig erachten.
Diese Auffassung lehnt sich zwar stark an den Gesetzestext "ärztliche Behandlung" an, doch verkennt sie das eigentliche Ziel der Bestimmung. Es ist weder Aufgabe noch Ziel des Strafgesetzes, die (geistige) Gesundheit von Straftätern zu fördern; eine solche Aufgabe fiele allenfalls in den Bereich der Gesundheitsgesetzgebung. Vordringliches Anliegen der Strafgesetzgebung ist es, ein möglichst straffreies Verhalten aller anzustreben (Generalprävention) und die Resozialisierung (
Art. 37 StGB
) von Straftätern zu fördern, damit sie in Zukunft nicht mehr straffällig werden (Spezialprävention). Letzteres Ziel wird denn auch in
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
ausdrücklich genannt "... und ist anzunehmen, dadurch lasse sich die Gefahr weiterer mit Strafe bedrohter Taten verhindern oder vermindern,..." und ist in der Rechtsprechung (
BGE 120 IV 1
E. 2b) sowie in der Literatur selbst bei jenen Autoren unbestritten, die im Rahmen der ambulanten Massnahme ausschliesslich psychiatrische beziehungsweise auch psychologische Behandlungen zulassen wollen (REHBERG, ZStrR 93/1977, S. 179; FRAUENFELDER, a.a.O., S. 112; TRECHSEL, a.a.O., Art. 43 N. 10a; VOSSEN, a.a.O., S. 137).
Die ärztliche Behandlung gemäss
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
stellt somit lediglich ein Mittel dar, mit welchem das Ziel, die Verhinderung oder Verminderung künftiger Straftaten erreicht werden soll. Wenn man sich das oben skizzierte gesetzgeberische Konzept vor Augen hält, wonach gerade durch die ärztliche Behandlung die Ursache (geistige Abnormität) der Straftat angegangen und damit die Rückfallgefahr verhindert oder vermindert werden soll, leuchtet ein, weshalb der Gesetzgeber in der fraglichen Bestimmung nur von ärztlicher Behandlung spricht. Jedoch von der Zielsetzung der ambulanten Massnahme her, aber auch weil sich seit der Einführung der ambulanten Massnahme im Jahre 1971 das berufliche Umfeld und der Umgang mit geistig Abnormen zum Teil stark verändert haben (FERRACUTI/BRUNO, a.a.O.), ist eine enge Auslegung des Begriffs "ärztliche Behandlung" nicht (mehr) gerechtfertigt (STRATENWERTH, a.a.O., S. 392 N. 75). Denn soweit auch andere Mittel und Wege zu einer Verhinderung oder Verminderung der Rückfallgefahr führen und somit die Zielsetzung des
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
erfüllen, ist ihre Anwendung im Rahmen der ambulanten Massnahme sachlich angezeigt.
c) Konkret kann damit insbesondere bei geistig Abnormen, die angesichts einer analytisch orientierten Psychotherapie intellektuell
BGE 124 IV 246 S. 252
überfordert (FRAUENFELDER, a.a.O., S. 73), ansonsten aber massnahmebedürftig sind, eine ambulante Massnahme angeordnet werden, die nicht in erster Linie eine Besserung ihres geistigen Zustandes anpeilt, sondern sie befähigt, mit ihrer geistigen Abnormität sozialverträglich umzugehen (STRATENWERTH, a.a.O., S. 393 N. 76; SCHWOB, a.a.O., S. 3 Ziff. 2.2; BAUHOFER, a.a.O., S. 425 unten/426 oben). Es wäre verfehlt, hier eine abschliessende Liste von möglichen Behandlungsformen aufstellen zu wollen. Doch ist in Bezug auf paramedizinische Behandlungen zu fordern, dass deren Verlauf durch eine fachmännische Supervision mitzuverfolgen wäre. Im Übrigen wird es Aufgabe des Gutachters sein, im konkreten Fall aufzuzeigen, welche Betreuungs-/Behandlungsformen oder allenfalls in welchen Verbindungen sie der Zielsetzung des
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
genügen und auch praktisch umsetzbar sind (vgl. BINSWANGER, a.a.O., S. 384; PERREZ/RAUCHFLEISCH, Katamnestische Untersuchung über ambulante psychiatrische Behandlungen nach Art. 43 des Schweizer Strafgesetzbuches, MschrKrim 68/1985, S. 21; FERRACUTI/BRUNO, a.a.O.).
d) Im Zusammenhang mit der Anordnung von ambulanten Massnahmen wird zum Teil auf die Missbrauchsmöglichkeit dieses Instituts zur Umgehung des Strafvollzugs hingewiesen. Doch ist diese Befürchtung kaum begründet. Angesichts der einschränkenden Voraussetzungen des
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
wird die Zahl der Straffälligen, die sich für eine solche Sanktionsform eignen, immer in Grenzen bleiben (BAUHOFER, a.a.O., S. 426). Bei anderen Behandlungsformen als analytisch orientierten Psychotherapien (aber auch dort) wird eine regelmässige Kontrolle und Begleitung der Behandlung durch einen Supervisor oft sinnvoll sein. Diese Kontrolle stellt sich auch ein, wenn z.B. eine kombinierte Behandlung/Betreuung von verschiedenen Personen durchgeführt wird. Im Übrigen ist es Sache des Richters, zunächst die vom Gutachter vorgeschlagene Massnahme auf ihre Gesetzmässigkeit hin zu überprüfen, und dann obliegt es den Vollzugsbehörden mit ihren Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten, die angeordnete Massnahme zu begleiten.
4.
Die Vorinstanz erachtet grundsätzlich die Voraussetzungen für die Anordnung einer ambulanten Massnahme gemäss
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
bei der Beschwerdeführerin als gegeben. Die Anordnung der Massnahme scheitert einzig an der vorgeschlagenen nicht-wissenschaftlichen Behandlungsform und der nicht-anerkannten Ausbildung der vorgeschlagenen Therapeutin. Dies ergibt sich
BGE 124 IV 246 S. 253
aus den vorinstanzlichen Ausführungen, das Gutachten erwecke den Eindruck, dass die angestrebte Therapie nicht primär auf die Heilung oder zumindest Beherrschung der psychischen Störung der Beschwerdeführerin abziele, sondern auf Beeinflussung ihrer äusseren Lebensumstände. So brauche die Beschwerdeführerin nach Auffassung des Gutachters Unterstützung bei der Schaffung und Bewahrung von sozialen Kontakten ausserhalb ihres häuslichen Umfeldes und bei der Beziehung zu ihrem Freund (Berufsberatung, Paartherapie zwecks Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit zwischen den Partnern). Dass die angestrebte Therapieform eher auf eine Begleitung und Führung als auf eine fachkundige Heilbehandlung hinauslaufe, zeige sich auch bei den vom Gutachter als mögliche Therapeuten in Betracht gezogenen Personen (eine Therapeutin für Kinesiologie und Bachblüten oder ein Therapeut, "vielleicht aus dem Kreis der Sozialarbeiter").
Die Probleme der Beschwerdeführerin, die deutlich einen Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt aufweisen, liegen in ihrer unzureichenden Persönlichkeitsentwicklung, ihrem Hang zu explosiven Reaktionen, ihrer Tendenz zu depressiven Reaktionen usw. Offensichtlich ist es nicht möglich, die unzureichende Persönlichkeitsentwicklung der Beschwerdeführerin durch eine klassische Psychotherapie direkt zu beeinflussen. Falls die Beschwerdeführerin durch die vom Gutachter vorgeschlagenen einerseits betreuende, führende und unterstützende und anderseits neues Verhalten einübende Behandlungen befähigt werden könnte, mit ihrem Hang zu explosiven und ihrer Tendenz zu depressiven Reaktionen sozialverträglich umzugehen, stünde nach dem oben Gesagten (E. 3) der Anordnung solcher ambulanter Massnahmen von Bundesrechts wegen nichts entgegen; denn dadurch liesse sich wohl - was ausschlaggebend ist - auch die Gefahr weiterer mit Strafe bedrohter Taten verhindern oder vermindern. Da die Vorinstanz diesen Aspekt zu wenig berücksichtigt hat, ist der angefochtene Entscheid aufzuheben. Sollten sich im Übrigen die erwähnten Behandlungen indirekt auch positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung der Beschwerdeführerin auswirken, so wäre das als erwünschte Nebenerscheinung nur zu begrüssen.
Vor der Neubeurteilung wird die Vorinstanz vom Gutachter in Erfahrung zu bringen haben, welche Behandlungsform beziehungsweise Behandlungsformen bei der Beschwerdeführerin indiziert sind, um schliesslich entscheiden zu können, ob die vorgeschlagene Massnahme - allenfalls verbunden mit Supervision - der Zielsetzung des
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
entspricht.