Urteilskopf
135 IV 56
9. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_549/2008 vom 3. Februar 2009
Regeste
Fahrlässige schwere Körperverletzung (
Art. 125 Abs. 2 StGB
).
Fragen der Zurechnung des Erfolgs. Eine Person verletzte vorsätzlich einen Menschen durch Abgabe eines Schusses aus einer Pistole schwer. Die Pistole war ihr - nach vorgängiger Beschlagnahmung aufgrund eines früheren Vorfalls - von der zuständigen Polizeibehörde in Anwendung der Waffengesetzgebung zurückgegeben worden, nachdem der Beschuldigte nach einer Untersuchung bescheinigt hatte, dass die Person weder suizidgefährdet noch für Dritte gefährlich sei. Die Person führte im Zeitpunkt der Schussabgabe allerdings noch eine zweite schussbereite Pistole mit sich, welche sie unabhängig vom Verhalten des Beschuldigten ohnehin besass (E. 3-5).
Alternative Kausalität, hypothetische Ersatzursachen; nicht vorsätzliche Beteiligung an einem vorsätzlichen Erfolgsdelikt (E. 3).
Sorgfaltspflichtverletzungen bei der Untersuchung der von einer Person ausgehenden Gefahren aus Waffenbesitz (E. 4).
Anforderungen an den Zusammenhang zwischen dem sorgfaltswidrigen Verhalten und dem eingetretenen Erfolg (E. 5).
A.a
Am 12. April 2001 richtete die im Jahr 1961 geborene A., die als Sportschützin Mitglied eines Schiessclubs war, in Baar eine der beiden Pistolen, die sie bei sich hatte, auf ihren damaligen Lebenspartner B. Dieser konnte ihr die Waffe nach Zureden abnehmen. Hierauf nahm A. auch noch die zweite Waffe zur Hand, welche B. ihr ebenfalls abnehmen konnte. Die beiden Schusswaffen, eine Pistole der Marke "Glock" und eine Sportpistole der Marke "Hämmerli", wurden am 12. April 2001 von der Zuger Polizei sichergestellt. Mit Verfügung der Zuger Polizei vom 15. Juli 2002 wurden die beiden sichergestellten Schusswaffen beschlagnahmt und als Bedingung für deren Rückgabe eine "Unbedenklichkeitserklärung" in Form eines ärztlichen Zeugnisses verlangt, welches A. "einen stabilen psychischen Zustand" attestiert.
BGE 135 IV 56 S. 58
Im Rahmen der zwischen A. und der Zuger Polizei geführten Korrespondenz betreffend die Rückgabe der Schusswaffen hielt der Kommandant der Zuger Polizei mit Schreiben vom 6. August 2002 an A. unter Hinweis auf die Bestimmungen der eidgenössischen Waffengesetzgebung fest, für die Rückgabe der Waffen sei im Sinne einer "Unbedenklichkeitserklärung" eine fachärztliche Bestätigung erforderlich, dass A. nicht suizidgefährdet sei und von ihr keine Gefahr für Dritte ausgehe.
Im Jahre 2003 ersuchte A. ihre Ärztin, bei der sie seit 1998, mit Unterbrüchen, wegen gesundheitlicher Probleme psychischer Art in Behandlung war, um Ausstellung einer "Unbedenklichkeitserklärung", was die Ärztin, eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, aber ablehnte. A. suchte eine andere Person, die zur Ausstellung der gewünschten "Unbedenklichkeitserklärung" bereit war, und gelangte an X.
A.b
X. führte in seiner Funktion als allgemein praktizierender Arzt und Psychoanalytiker am 6. November 2003 ein rund einstündiges Gespräch mit A. Am 13. November 2003 stellte er eine "Unbedenklichkeitserklärung" aus. Darin hielt er unter anderem fest, dass A., die er am 6. November 2003 ausführlich psychiatrisch untersucht habe, in stabilen Verhältnissen lebe, seit 15 Jahren an der gleichen Stelle arbeite und auch emotional ausgeglichen sei. Der Vorfall, der zum Einzug der beiden Pistolen geführt habe, müsse im Zusammenhang mit der damaligen enttäuschenden Beziehung gesehen werden. Es habe sich weder um einen ernsthaften Selbstmordversuch noch gar um eine ernstliche Bedrohung des damaligen Lebenspartners mit Erschiessen gehandelt. Der Vorfall habe vielmehr den Charakter einer hilflosen hysterischen Inszenierung gehabt. Aufgrund seiner Untersuchung sei er davon überzeugt, dass sich derartiges nicht wiederholen werde.
Gestützt auf diese "Unbedenklichkeitserklärung" vom 13. November 2003 gab die Zuger Polizei am 1. Dezember 2003 A. die beiden beschlagnahmten Pistolen wieder heraus.
A.c
Am 11. März 2004 suchte A. ihren ehemaligen Freund C. in dessen Haus auf, um mit ihm zu reden. Nach dem Gespräch wandte sie sich zum Weggehen. Als sie von C. auf ihre Tasche angesprochen wurde, zog sie daraus eine durchgeladene Faustfeuerwaffe, die sie mit dem Finger am Abzug aus nächster Nähe gegen die Brust von C. richtete. Dieser versuchte sofort, durch einen Schlag auf
BGE 135 IV 56 S. 59
den Arm die Waffe nach unten zu bewegen, worauf sich aus der von A. gehaltenen Pistole ein Schuss löste, welcher C. im Bauch traf. Der Geschädigte erlitt einen Bauchdurchschuss mit Durchdringen der Leber und der rechten Niere. Letztere musste zusammen mit einem Teil der Nebenniere operativ entfernt werden.
Bei der Tatwaffe handelte es sich um die Pistole der Marke "Glock", welche - neben der Sportpistole der Marke "Hämmerli" - von der Zuger Polizei beschlagnahmt und am 1. Dezember 2003 auf Grund der von X. ausgestellten "Unbedenklichkeitserklärung" A. wieder zurückgegeben worden war. Bei der Tat vom 11. März 2004 zum Nachteil von C. führte A. in ihrer Tasche allerdings noch eine weitere Pistole der Marke "Glock" mit sich. Diese Schusswaffe war zu keinem Zeitpunkt beschlagnahmt worden und bildete daher auch nicht Gegenstand der Verfügung der Zuger Polizei betreffend die Herausgabe von zwei Schusswaffen, die auf Grund der von X. ausgestellten "Unbedenklichkeitserklärung" erlassen wurde.
B.a
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. am 4. April 2008 in Bestätigung des Urteils des Einzelrichters in Strafsachen am Bezirksgericht Zürich vom 10. Mai 2007 vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung (
Art. 125 Abs. 2 StGB
) frei.
B.b
A. wurde wegen der Tat vom 11. März 2004 zum Nachteil von C. mit Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 1. Februar 2006 wegen vollendeten Versuchs der vorsätzlichen Tötung (Art. 111 in Verbindung mit
Art. 22 Abs. 1 StGB
) und wegen Vergehens gegen das Waffengesetz unter Zubilligung einer mittelgradigen Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, wobei der Vollzug dieser Strafe zu Gunsten einer stationären Massnahme im Sinne von
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
aufgeschoben wurde.
C.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 4. April 2008 in Sachen X. sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Vernehmlassung verzichtet. X. beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
BGE 135 IV 56 S. 60
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Aus den Erwägungen:
1.1
Nach der Auffassung der Vorinstanz handelte der Beschwerdegegner durch die Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" zwar sorgfaltswidrig, doch war dieses sorgfaltswidrige Verhalten für den eingetretenen Erfolg, nämlich die schwere Körperverletzung von C. am 11. März 2004, nicht relevant, da A. am 11. März 2004 in ihrer Tasche noch eine weitere - geladene und schussbereite - Pistole mit sich führte, welche sie zum Nachteil von C. hätte einsetzen können. Diese weitere Schusswaffe sei aber nicht gestützt auf die vom Beschwerdegegner ausgestellte "Unbedenklichkeitserklärung" an A. zurückgegeben worden, sondern unabhängig davon im Besitz von A. gewesen, da sie zu keinem Zeitpunkt beschlagnahmt worden sei.
Im Einzelnen hat die Vorinstanz unter Hinweis auf das eingehend begründete erstinstanzliche Urteil erwogen, dass den Beschwerdegegner ein Übernahmeverschulden treffe, da er als Allgemeinarzt und Psychoanalytiker nicht über die erforderliche Ausbildung und Erfahrung zur Erstellung einer Prognose über das künftige Verhalten eines Menschen in Konfliktsituationen verfüge. Zudem seien dem Beschwerdegegner auch im Einzelnen mehrere Sorgfaltswidrigkeiten bei der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" anzulasten. Der Beschwerdegegner habe mit der ihm bis dahin unbekannten A. lediglich ein knapp einstündiges Gespräch über die persönlichen Verhältnisse geführt, deren Angaben nicht überprüft und keinerlei Tests vorgenommen etc. Daher könne entgegen der Darstellung in der "Unbedenklichkeitserklärung" vom 13. November 2003 auch keine Rede davon sein, dass er A. "ausführlich psychiatrisch untersucht" habe. Im Weiteren führt die Vorinstanz im Wesentlichen aus, dem Beschwerdegegner sei bewusst gewesen, dass die Zuger Polizei aller Voraussicht nach gestützt auf seine "Unbedenklichkeitserklärung" die beiden beschlagnahmten Schusswaffen A. zurückgeben werde. Er hätte bei pflichtgemässer Vorsicht voraussehen können, dass A. mit diesen Schusswaffen in einer Konfliktsituation sich selbst oder Dritte gefährden beziehungsweise verletzen könnte. Den Eintritt eines solchen Erfolgs unter Einsatz der herausgegebenen Schusswaffen hätte er durch Verweigerung der
BGE 135 IV 56 S. 61
pflichtwidrig zustande gekommenen "Unbedenklichkeitserklärung" verhindern können. Insoweit sei der Erfolg auch vermeidbar gewesen.
Nach der Auffassung der Vorinstanz hat der Beschwerdegegner gleichwohl den Tatbestand der fahrlässigen schweren Körperverletzung nicht erfüllt. Denn die sorgfaltswidrige Ausstellung einer "Unbedenklichkeitserklärung" sei unter den gegebenen konkreten Umständen für den Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs nicht relevant gewesen. A. habe nämlich am 11. März 2004, als sie ihren ehemaligen Freund C. aufgesucht habe, neben der ihr von der Polizei auf Grund der "Unbedenklichkeitserklärung" des Beschwerdegegners herausgegebenen Pistole der Marke "Glock", mit welcher sie C. schwer verletzt habe, in ihrer Tasche eine zweite Schusswaffe, ebenfalls eine Pistole der Marke "Glock", mitgeführt. Diese Schusswaffe sei aber nicht gestützt auf die vom Beschwerdegegner ausgestellte "Unbedenklichkeitserklärung" an A. herausgegeben worden, sondern habe A. unabhängig davon zur Verfügung gestanden, da sie gar nie beschlagnahmt worden sei. Dabei sei zu Gunsten des Beschwerdegegners davon auszugehen, dass auch diese zweite Pistole durchgeladen und schussbereit gewesen sei. A. habe bei ihrem Griff in die Tasche nicht darauf geachtet, welche der beiden mitgeführten, gleichartigen und schussbereiten Pistolen sie in die Hand bekomme, und sie habe somit gleichsam zufällig gerade diejenige Pistole in die Hand genommen, welche ihr gestützt auf die "Unbedenklichkeitserklärung" des Beschwerdegegners von der Polizei zurückgegeben worden sei. A. hätte am 11. März 2004 ohne weiteres auch die andere Pistole aus ihrer Tasche nehmen und unter Einsatz dieser Schusswaffe, die ihr unabhängig vom Verhalten des Beschwerdegegners zur Verfügung gestanden habe, C. schwer verletzen können. Damit fehlt es gemäss den Schlussfolgerungen der Vorinstanz aber an der Erfolgsrelevanz der dem Beschwerdegegner angelasteten Sorgfaltspflichtverletzungen beziehungsweise am erforderlichen Risikozusammenhang zwischen dem sorgfaltswidrigen Verhalten des Beschwerdegegners und dem eingetretenen Verletzungserfolg, weil ein sorgfaltsgemässes Verhalten nutzlos gewesen wäre, d.h. am wesentlichen Geschehensablauf und dessen Folgen nichts geändert hätte. Daher könne nicht gesagt werden, dass der tatbestandsmässige Erfolg bei sorgfaltsgemässem Verhalten des Beschwerdegegners im Sinne der "Wahrscheinlichkeitstheorie" mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre. Selbst wenn man aber
BGE 135 IV 56 S. 62
im Sinne der von einem Teil der Lehre bevorzugten "Risikoerhöhungstheorie" den tatbestandsmässigen Erfolg dem Täter bereits zurechnen wollte, wenn dieser durch sein sorgfaltswidriges Verhalten zweifelsfrei die Gefahr, die in den Erfolg umgeschlagen ist, erhöht hat, könnte gemäss den weiteren Ausführungen der Vorinstanz die schwere Körperverletzung von C. durch den von A. abgegebenen Schuss dem Beschwerdegegner nicht zugerechnet werden. Denn eine solche Risikoerhöhung sei im vorliegenden Fall eher unwahrscheinlich beziehungsweise jedenfalls zweifelhaft. Da A. nur einen Schuss abgegeben habe beziehungsweise habe abgeben können, sei die Gefahr für C. durch die blosse Tatsache, dass die Schützin zwei schussbereite Pistolen mit sich geführt habe, gegenüber der Gefahr, welche im Falle des Mitführens einer einzigen Pistole bestanden hätte, wohl kaum erhöht worden.
Aus diesen Gründen hat die Vorinstanz den Beschwerdegegner mangels Erfolgsrelevanz der ihm angelasteten Sorgfaltspflichtverletzungen in Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheids vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung freigesprochen.
1.2
Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Umstand, dass A. am 11. März 2004 neben der ihr auf Grund der "Unbedenklichkeitserklärung" des Beschwerdegegners zurückgegebenen Pistole der Marke "Glock" noch eine zweite Pistole derselben Marke mit sich geführt habe, mit welcher sie die Tat zum Nachteil von C. ebenfalls hätte begehen können, sei entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht von Bedeutung. Denn ein derartiger, ausschliesslich auf einer Ex-post-Betrachtung beruhender Aspekt sei nicht massgeblich. Entscheidend sei vielmehr, dass A. mit derjenigen Waffe auf den Geschädigten geschossen habe, welche ihr auf Grund des Verhaltens des Beschwerdegegners von der Polizei zurückerstattet worden sei. Dabei entspreche das Vorgehen des Beschwerdegegners bei der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" einer vorwerfbaren Pflichtwidrigkeit, welche unter anderem die Bejahung der Vermeidbarkeit des Erfolgs beinhalte, die jedoch nicht auf Grund einer hypothetischen Ex-post-Betrachtung, sondern einer individuell-konkreten und ex ante mit Bezug auf den Beschwerdegegner vorgenommenen Abklärung entschieden werden müsse.
Wenn die Vorinstanz die Erfolgsrelevanz des dem Beschwerdegegner angelasteten Verhaltens verneine, setze sie sich in Widerspruch zu ihren eigenen Erwägungen, worin sie das Vorgehen des
BGE 135 IV 56 S. 63
Beschwerdegegners als in mehrfacher Hinsicht sorgfaltswidrig qualifiziert habe. Ein ursprünglich als pflichtwidrig erkanntes Verhalten des Beschwerdegegners, welches adäquat kausal zum tatbestandsmässigen Erfolg geführt habe, könne nicht plötzlich auf Grund von (hypothetischen) Drittursachen nicht mehr eine massgebliche Pflichtverletzung darstellen. Entweder stelle ein bestimmtes Verhalten eine massgebliche Sorgfaltspflichtverletzung dar, was individuell-konkret im Zeitpunkt des Verhaltens auf Grund einer Ex-ante-Betrachtungsweise zu entscheiden sei, oder es liege eben (in diesem Zeitpunkt) keine vorwerfbare Sorgfaltspflichtverletzung vor. Die vorinstanzliche Urteilsbegründung vermenge in unzulässiger Weise die Frage der (hypothetischen) Doppelkausalität mit derjenigen der Sorgfaltspflichtverletzung und der Vermeidbarkeit und führe entsprechend zu falschen Ergebnissen. Der Beschwerdegegner habe im Zeitpunkt des ihm angelasteten Verhaltens mehrfach die ihm unter den konkreten Umständen obliegende Sorgfaltspflicht unter Einbezug der Vermeidbarkeit verletzt und damit eine wesentliche Teilursache für die beim Geschädigten entstandenen Verletzungen gesetzt, wobei der Kausalverlauf ohne weiteres vorhersehbar gewesen sei. Aus diesen Gründen sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung namentlich in Bezug auf die Fahrlässigkeit an die Vorinstanz zurückzuweisen.
1.3
Der Beschwerdegegner wendet im Wesentlichen ein, A. habe als Sportschützin über mehrere ihr gehörende Pistolen verfügt und ausserdem jederzeit Zugang zu den Pistolen des Schützenvereins gehabt. Daher wäre eine von ihr ausgehende allfällige Gefährdung aus Waffenbesitz weder qualitativ noch quantitativ verändert worden, wenn die beiden sichergestellten Pistolen zufolge Verweigerung einer "Unbedenklichkeitserklärung" beschlagnahmt geblieben wären. Schon aus diesem Grunde falle eine Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung, angeblich begangen durch Ausstellen der "Unbedenklichkeitserklärung", ausser Betracht.
2.
Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder ein Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (
Art. 12 Abs. 3 StGB
; weitgehend entsprechend aArt. 18 Abs. 3 StGB).
BGE 135 IV 56 S. 64
2.1
Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung setzt somit voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist ein Verhalten, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften. Dies schliesst nicht aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie etwa den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann. Denn einerseits begründet nicht jeder Verstoss gegen eine gesetzliche oder für bestimmte Tätigkeiten allgemein anerkannte Verhaltensnorm den Vorwurf der Fahrlässigkeit, und andererseits kann ein Verhalten sorgfaltswidrig sein, auch wenn nicht gegen eine bestimmte Verhaltensnorm verstossen wurde. Die Vorsicht, zu der ein Täter verpflichtet ist, wird letztlich durch die konkreten Umstände und seine persönlichen Verhältnisse bestimmt, weil naturgemäss nicht alle tatsächlichen Gegebenheiten in Vorschriften gefasst werden können (zum Ganzen
BGE 133 IV 158
E. 5.1;
BGE 130 IV 7
E. 3.2;
BGE 127 IV 62
E. 2d; Urteil 6S.8/2007 vom 24. April 2007 E. 6.1.1).
Grundvoraussetzung für das Bestehen einer Sorgfaltspflichtverletzung und mithin für die Fahrlässigkeitshaftung bildet die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Zunächst ist daher zu fragen, ob der Täter eine Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen beziehungsweise erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab der Adäquanz. Danach muss das Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Die Adäquanz ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden des Opfers beziehungsweise eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des Angeschuldigten -
BGE 135 IV 56 S. 65
in den Hintergrund drängen (
BGE 131 IV 145
E. 5.1 und E. 5.2;
BGE 130 IV 7
E. 3.2;
BGE 128 IV 49
E. 2b;
BGE 127 IV 62
E. 2d; je mit Hinweisen).
Damit der Eintritt des Erfolgs auf das pflichtwidrige Verhalten des Täters zurückzuführen ist, genügt allerdings seine Voraussehbarkeit nicht. Weitere Voraussetzung ist vielmehr, dass der Erfolg auch vermeidbar war. Dabei wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Für die Zurechnung des Erfolgs genügt, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (
BGE 130 IV 7
E. 3.2;
BGE 127 IV 34
E. 2a; je mit Hinweisen).
2.2
Ob eine Handlung im Sinne der Adäquanztheorie nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen oder zu begünstigen, muss ex ante, d.h. vom Zeitpunkt des Handelns aus, entschieden werden; denn die nachträgliche (bessere) Kenntnis der Zusammenhänge kann nicht darüber entscheiden, ob eine Handlung im Zeitpunkt ihrer Vornahme erlaubt oder verboten war (GÜNTER STRATENWERTH, Die Straftat, 3. Aufl. 2005, § 9 N. 25). Demgegenüber ist die für die Erfolgszurechnung ebenfalls wesentliche Frage, aus welcher Gefahr der Erfolg hervorgegangen ist, ob sich mithin im Erfolg gerade die vom Täter geschaffene oder gesteigerte Gefahr verwirklicht hat, unter Auswertung aller ex post bekannten Umstände zu beantworten (
BGE 116 IV 306
E. 2c mit Hinweisen; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 41). Der Erfolg ist dem Täter zuzurechnen, wenn dessen Verhalten mindestens mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (
BGE 130 IV 7
E. 3.2;
BGE 121 IV 286
E. 3; je mit Hinweisen).
3.1.1
Eine Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass A. anlässlich des Besuchs bei ihrem ehemaligen Freund am 11. März 2004 zwei gleichartige, schussbereite Pistolen in ihrer Tasche mitführte, nämlich zum einen die Pistole, die wegen des Vorfalls vom 12. April 2001 polizeilich sichergestellt und beschlagnahmt und ihr in der Folge gestützt auf die "Unbedenklichkeitserklärung" des Beschwerdegegners in Anwendung der Bestimmungen der
BGE 135 IV 56 S. 66
Waffengesetzgebung von der Polizei am 1. Dezember 2003 wieder zurückgegeben worden war (nachfolgend als Pistole 1 bezeichnet), und zum andern eine Pistole, welche A. unabhängig vom Verhalten des Beschwerdegegners ohnehin besass (nachfolgend als Pistole 2 bezeichnet).
Nach der Auffassung der Vorinstanz ist es unerheblich, dass A. die Tat mit der Pistole 1 beging, sondern ist massgebend, dass sie die Tat genauso gut mit der ebenfalls mitgeführten Pistole 2 hätte verüben können. Demgegenüber ist es nach der Ansicht der Beschwerdeführerin entscheidend, dass A. die Tat mit der Pistole 1 beging, und ist es unerheblich, dass sie die Tat auch mit der ebenfalls mitgeführten Pistole 2 hätte begehen können.
3.1.2
Die Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" durch den Beschwerdegegner ist eine Ursache neben andern für den Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs der schweren Körperverletzung des Opfers. Ohne die "Unbedenklichkeitserklärung" wäre die Pistole 1 von der Polizei nicht an A. zurückgegeben worden und hätte diese somit nicht unter Einsatz der Pistole 1 das Opfer schwer verletzen können. Durch die Verweigerung der "Unbedenklichkeitserklärung" wäre der Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs unter Einsatz der Pistole 1 verhindert worden.
Dass A. das Opfer ebenso gut durch die Abgabe eines Schusses aus der von ihr ebenfalls mitgeführten Pistole 2 hätte verletzen können, bedeutet entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht, dass die "Unbedenklichkeitserklärung" für den Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs nicht relevant gewesen, der Erfolg daher dem Beschwerdegegner objektiv nicht zurechenbar und der Beschwerdegegner aus diesem Grunde vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung freizusprechen sei. Es kommt allein darauf an, welche Bedingungen sich im Eintritt des Erfolgs
tatsächlich
verwirklicht haben. Der Täter, der durch sein Verhalten eine Bedingung für den Eintritt des Erfolgs gesetzt hat, kann sich daher nicht damit entlasten, dass der Erfolg - wie in den Konstellationen der "Doppelkausalität", der "alternativen Kausalität" sowie der "hypothetischen Ersatzursachen" - auch ohne die von ihm gesetzte Bedingung, etwa infolge des Verhaltens eines andern, gleichwohl eingetreten wäre (siehe STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 44; GUIDO JENNY, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 73 zu
Art. 12 StGB
; JOSÉ HURTADO POZO, Droit pénal, partie générale,
BGE 135 IV 56 S. 67
2008, N. 520, 542; CLAUS ROXIN, Grundlagen, der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Aufl. 2006, § 11 N. 13, 23, 25, 58 f.). Massgebend für die objektive Zurechnung ist, dass der Täter durch sein Verhalten eine Bedingung für den Erfolg
in seiner konkreten Gestalt
gesetzt hat (KURT SEELMANN, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2007, S. 36). Im vorliegenden Fall besteht der Erfolg in seiner konkreten Gestalt darin, dass A. das Opfer durch Abgabe eines Schusses
aus der Pistole 1
schwer verletzte. Hiefür hat der Beschwerdegegner eine Bedingung gesetzt, indem er die "Unbedenklichkeitserklärung" ausstellte, auf deren Grundlage die Polizei die Pistole 1 in Anwendung der Bestimmungen der eidgenössischen Waffengesetzgebung an A. zurückgab. Hätte A. den Schuss aus der Pistole 2 abgegeben, dann wäre der Erfolg in einer anderen konkreten Gestalt eingetreten, für welchen der Beschwerdegegner keine Bedingung gesetzt hätte, so dass ihm der Erfolg objektiv nicht zugerechnet werden könnte. Im Falle einer Schussabgabe aus der Pistole 2 hätte sich im Erfolg eine andere Kausalkette verwirklicht, in der nicht der Beschwerdegegner, sondern die Person, welche A. die Pistole 2 übergeben oder überlassen hatte, eine Bedingung gesetzt hätte. Da aber A., und sei es zufälligerweise, die Pistole 1 aus der Tasche zog und durch Abgabe eines Schusses aus dieser Pistole das Opfer schwer verletzte, hat sich im Erfolg in dieser konkreten Gestalt diejenige Kausalkette verwirklicht, in welcher der Beschwerdegegner durch sein Verhalten eine Bedingung gesetzt hat.
Der Freispruch des Beschwerdegegners vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung kann daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht mit dem Argument begründet werden, dass A. das Opfer ebenso gut durch Abgabe eines Schusses aus der von ihr ebenfalls mitgeführten Pistole 2 hätte verletzen können und deshalb dem Beschwerdegegner der eingetretene Erfolg mangels Relevanz seines Verhaltens objektiv nicht zurechenbar sei.
3.2
Der Beschwerdegegner macht in seiner Vernehmlassung geltend, die von A. allenfalls ausgehende Gefahr aus Waffenbesitz sei durch die aufgrund der "Unbedenklichkeitserklärung" erfolgte Rückgabe der beiden Pistolen (d.h. der Pistole 1 und der Sportpistole "Hämmerli") weder qualitativ noch quantitativ verändert worden, da A. als Sportschützin über mehrere weitere ihr gehörende Pistolen verfügt und ausserdem jederzeit Zugang zu den Pistolen des Schützenvereins gehabt habe. Schon aus diesem Grund könne er für den eingetretenen Erfolg nicht zur Verantwortung gezogen werden.
BGE 135 IV 56 S. 68
Der Einwand ist unbegründet. Wenn es gemäss den vorstehenden Erwägungen (E. 3.1) unerheblich ist, dass A. das Opfer ebenso gut durch Abgabe eines Schusses aus der von ihr ebenfalls mitgeführten Pistole 2 hätte verletzen können, dann ist es
a fortiori
ohne Bedeutung, dass sie allenfalls mehrere weitere Schusswaffen besass und als Sportschützin einen leichten Zugang zu den Pistolen des Vereins hatte. Massgebend ist, dass durch die aus der "Unbedenklichkeitserklärung" resultierenden Rückgabe der beiden beschlagnahmten Pistolen ein Risiko geschaffen wurde, das sich im Einsatz dieser Schusswaffen durch A. und damit im Verletzungserfolg verwirklichen konnte und durch die Verwendung einer der beiden Schusswaffen tatsächlich verwirklicht hat. Unerheblich ist, dass auch andere Personen ein Risiko schufen, das sich im Verletzungserfolg hätte verwirklichen können, indem sie ihrerseits A. Schusswaffen übergaben oder den Zugang zu solchen ermöglichten. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid insoweit zutreffend festgehalten, es gehe vorliegend nicht darum, ob A. überhaupt Zugang zu anderen Waffen gehabt habe, sondern darum, dass sie in der konkreten Tatsituation in ihrer Tasche zwei gleichartige schussbereite Pistolen mit sich führte.
3.3
A. hat sich durch die Abgabe eines Schusses aus der Pistole 1, wodurch sie ihr Opfer schwer verletzte, gemäss dem Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 1. Februar 2006 des vollendeten Versuchs der vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht, wobei ihr das Gericht eine mittelgradige Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zubilligte. Die in der Lehre heute noch vereinzelt vertretene Auffassung betreffend das sog. Regressverbot, wonach derjenige, welcher unvorsätzlich am vorsätzlichen Erfolgsdelikt eines andern mitgewirkt hat, für den eingetretenen Erfolg keinesfalls strafrechtlich verantwortlich sei, hat in der Rechtsprechung keine Zustimmung gefunden und wird auch von der herrschenden Lehre abgelehnt. Wenn ein unvorsätzlich Handelnder die intolerable Gefahr einer Vorsatztat geschaffen hat, gibt es keinen Grund, die Möglichkeit einer Fahrlässigkeitszurechnung neben der Vorsatztat auszuschliessen. Die Lösung liegt daher nicht in einem absoluten Regressverbot. Vielmehr geht es darum, die Grenzen des Vertrauensgrundsatzes und der Verantwortlichkeiten abzustecken, wobei hiefür etwa von Bedeutung sein kann, ob der Vorsatztäter erkennbar tatgeneigt oder infolge von Defiziten in seiner Verantwortlichkeit
BGE 135 IV 56 S. 69
eingeschränkt war (ROXIN, a.a.O., § 24 N. 26 ff.; STRATENWERTH, a.a.O., § 16 N. 50 ff.).
4.1
Die kantonalen Instanzen haben, obschon sie den Beschwerdegegner mangels Vermeidbarkeit des eingetretenen Erfolgs beziehungsweise mangels Erfolgsrelevanz des ihm angelasteten Verhaltens vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung freigesprochen haben, eingehend geprüft, ob er im Zusammenhang mit der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" Sorgfaltspflichten verletzt hat. Sie haben die Frage unter anderem unter Hinweis auf das im Untersuchungsverfahren eingeholte Gutachten der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (Dr. med. D.) vom 15. Dezember 2005 mit ausführlicher Begründung bejaht.
4.2
Ob die Vorinstanz dem Beschwerdegegner zu Recht Sorgfaltspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" vorwirft, ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu prüfen, da insoweit ein letztinstanzliches kantonales Urteil vorliegt und das Bundesgericht gemäss
Art. 106 BGG
die Anwendung von eidgenössischem Gesetzesrecht von Amtes wegen prüft. Zwar wirken sich die Erwägungen im angefochtenen Entscheid betreffend die Sorgfaltspflichtverletzungen in keiner Weise auf den Urteilsspruch aus und kann der Beschwerdegegner das vorinstanzliche Urteil, durch welches er freigesprochen worden ist, mangels Beschwer nicht anfechten und somit nicht auf dem Wege einer Beschwerde geltend machen, die Vorinstanz habe ihm zu Unrecht Sorgfaltspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" vorgeworfen. Das Bundesgericht hat indessen in mehreren Entscheiden zum Ausdruck gebracht, dass die im vorinstanzlichen Verfahren obsiegende Partei in der Vernehmlassung zur Beschwerde der unterliegenden Partei die sie belastenden Erwägungen des vorinstanzlichen Entscheids anfechten kann, die sich im Falle der Gutheissung der Beschwerde nachteilig auf den Rechtsspruch im neuen Verfahren auswirken können. Die im kantonalen Verfahren obsiegende Partei kann alle Beschwerdegründe in ihrer Antwort auf die Beschwerde geltend machen, um allfällige Fehler der kantonalen Entscheidung zu rügen, die ihr im Falle einer abweichenden Beurteilung durch das Bundesgericht nachteilig sein könnten (
BGE 134 III 332
E. 2.3). Der Beschwerdegegner kann sich in seiner Vernehmlassung nicht
BGE 135 IV 56 S. 70
nur mit den Rügen der beschwerdeführenden Partei auseinandersetzen, sondern er darf auch eigene Rügen erheben, soweit diese darlegen sollen, dass trotz der Stichhaltigkeit der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Rügen und in Abweichung der im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen und vorgenommenen Rechtsanwendung der vorinstanzliche Entscheid im Ergebnis richtig ist (
BGE 122 I 253
E. 6c). Der Beschwerdegegner kann in der Vernehmlassung die für ihn ungünstigen Erwägungen und Feststellungen im angefochtenen Entscheid kritisieren (
BGE 101 Ia 521
E. 3;
BGE 89 I 513
E. 4). Die Vernehmlassung des Beschwerdegegners enthält denn auch einige Ausführungen, die sich auf die Frage der Sorgfaltspflichtverletzung beziehen.
4.3.1
Der Beschwerdegegner ist Allgemeinarzt und Psychoanalytiker. Er ist nicht Psychiater. Er hat keine Ausbildung, die ihn zur prognostischen Beurteilung des Risikos eines bestimmten künftigen Verhaltens beziehungsweise der von einem Menschen ausgehenden Gefahr beispielsweise aus Waffenbesitz befähigt. Er hat keine Erfahrung in der Erstellung von Kriminalprognosen. Er war daher trotz seiner grossen Erfahrung auf dem Gebiet der Psychoanalyse mit der von ihm nach eigener Darstellung dabei angewandten intuitiven Methode des psychoanalytischen Erstinterviews nicht kompetent, die Frage, ob A. suizidgefährdet sei oder ob von ihr eine Gefahr für Dritte aus Waffenbesitz ausgehe, fachgerecht zu beantworten. Der Beschwerdegegner führte mit der ihm bis dahin nicht bekannten A. ein rund einstündiges Gespräch über deren Arbeits-, Familien- und Liebesverhältnisse. Er stellte auf die subjektiven Angaben der offensichtlich an der Rückgabe der beiden Schusswaffen sehr interessierten A. ab, überprüfte diese Angaben nicht, holte keine weiteren Informationen ein und führte keine Tests durch. Auch in Bezug auf den Vorfall vom 12. April 2001, der Anlass zur Beschlagnahmung der Schusswaffen war, begnügte er sich mit den Angaben von A. im Gespräch, in dessen Verlauf er gemäss seinen eigenen Aussagen erfuhr, dass A. in der Vergangenheit im Zusammenhang mit enttäuschenden Liebesbeziehungen suizidale Handlungen vorgenommen hatte und während mehrerer Jahre in psychotherapeutischer Behandlung war.
4.3.2
Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdegegner erstens den Auftrag von A., die gemäss dem Schreiben des Polizeikommandos
BGE 135 IV 56 S. 71
für die Rückgabe der beiden Schusswaffen entscheidende Frage betreffend das Bestehen einer Suizidgefahr oder einer Gefahr für Dritte zu beantworten, gar nicht hätte übernehmen dürfen, er mithin bereits durch die Annahme des Auftrags seine Sorgfaltspflichten verletzte, und dass er zweitens im Rahmen seiner Untersuchung, auf deren Grundlage er die für die Rückgabe der Waffen durch das Polizeikommando wesentliche "Unbedenklichkeitserklärung" ausstellte, in mehrfacher Hinsicht Sorgfaltspflichten verletzte, indem er Abklärungen unterliess, die nach den anerkannten wissenschaftlichen Regeln im Rahmen einer solchen prognostischen Beurteilung geboten gewesen wären. Es kann daher im Übrigen entgegen der Darstellung des Beschwerdegegners in der "Unbedenklichkeitserklärung" auch keine Rede davon sein, dass er A. "am 6. November 2003 ausführlich psychiatrisch untersucht" habe.
Zur Begründung im Einzelnen kann, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die ausführlichen und zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid und im erstinstanzlichen Urteil verwiesen werden.
Die Auffassung der Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Untersuchung von A. zur Frage der Suizidgefahr und der Gefahr für Dritte aus Waffenbesitz in mehrfacher Hinsicht Sorgfaltspflichten verletzt hat, verstösst nicht gegen Bundesrecht.
5.1
Der tatbestandsmässige Erfolg ist dem sorgfaltswidrig handelnden Täter zurechenbar, wenn der Erfolg bei sorgfaltsgemässem Handeln mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre (siehe
BGE 130 IV 7
E. 3.2 mit Hinweisen). Dies lässt sich mitunter im Nachhinein nicht mehr feststellen, etwa weil die Tatsituation nicht wiederholbar ist. Gemäss der von einem Teil der Lehre anstelle der "Wahrscheinlichkeitstheorie" bevorzugten "Risikoerhöhungstheorie" ist der Erfolg dem Täter zurechenbar, wenn das sorgfaltswidrige Verhalten das Risiko, das in den Erfolg umgeschlagen ist, zweifelsfrei deutlich erhöht hat, mithin auch dann, wenn der Erfolg möglicherweise oder gar mit Sicherheit auch bei sorgfaltsgemässem Verhalten eingetreten wäre (siehe zum Ganzen, je mit Hinweisen auf die verschiedenen Lehrmeinungen, TRECHSEL/JEAN-RICHARD, Schweizerisches Strafgesetzbuch, 2008, N. 40 ff. zu
Art. 12 StGB
; JENNY, a.a.O., N. 94 ff. zu
Art. 12 StGB
; STRATENWERTH, a.a.O., § 9 N. 41, § 16 N. 21; ANDREAS DONATSCH, Sorgfaltsbemessung und Erfolg beim Fahrlässigkeitsdelikt, 1987, S. 271 f.).
BGE 135 IV 56 S. 72
5.2
Das Polizeikommando des Kantons Zug verlangte von A. als Voraussetzung für die Rückgabe der beiden beschlagnahmten Pistolen unter Hinweis auf die Bestimmungen der eidgenössischen Waffengesetzgebung die Vorlage einer fachärztlichen Bestätigung, dass sie nicht suizidgefährdet ist und von ihr keine Gefahr für Dritte ausgeht.
Gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1997 über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz, WG; SR 514.54) beschlagnahmt die zuständige Behörde Waffen, wesentliche Waffenbestandteile, Waffenzubehör, Munition und Munitionsbestandteile aus dem Besitz von Personen, bei denen ein Hinderungsgrund nach Artikel 8 Absatz 2 besteht. Nach
Art. 8 Abs. 2 lit. c WG
erhalten keinen Waffenerwerbsschein Personen, die zur Annahme Anlass geben, dass sie sich selbst oder Dritte mit der Waffe gefährden. Aus
Art. 34 Abs. 3 lit. a der Verordnung über Waffen, Waffenzubehör und Munition vom 2. Juli 2008 (Waffenverordnung, WV; SR 514.541)
ergibt sich, dass legal erworbene Waffen, die beschlagnahmt wurden, der eigentumsberechtigten Person zurückgegeben werden, wenn diese mit der Waffe weder sich selbst noch Dritte gefährdet. Das Waffengesetz und die Waffenverordnung regeln nicht, wer auf welche Weise zu prüfen hat, ob im Sinne von
Art. 8 Abs. 2 lit. c WG
Anlass zur Annahme besteht, dass die Person sich selbst oder Dritte mit der Waffe gefährdet. Es versteht sich indessen von selbst, dass die Frage der Gefährdung in einem Fall der vorliegenden Art nur aufgrund einer sorgfältigen fachmännischen Prüfung zuverlässig beantwortet werden kann.
5.3.1
Die erste Instanz hat in ihren Erwägungen zur Vermeidbarkeit des eingetretenen Erfolgs zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die Frage stelle, ob bei einer sorgfältigen Abklärung von A. durch eine kompetente Fachperson das Risiko eines zukünftigen selbst- oder fremdgefährdenden Verhaltens als so gering eingestuft worden wäre, dass die Zuger Polizei gestützt auf deren Erklärung die Waffen herausgegeben hätte. Die erste Instanz hat nach einigen diesbezüglichen Erörterungen die Frage ausdrücklich offengelassen, weil ihres Erachtens der Eintritt des Erfolgs aus einem anderen Grund ohnehin unvermeidbar war. Die Vorinstanz hat die diesbezüglichen erstinstanzlichen Erwägungen in ihrem Urteil wiedergegeben. Sie hat die Frage, zu welchen Schlüssen eine kompetente Fachperson nach
BGE 135 IV 56 S. 73
sorgfältiger Abklärung gelangt wäre, ebenfalls nicht entschieden. Sie hat sich mit dieser Frage möglicherweise deshalb nicht befasst, weil auch sie den Beschwerdegegner freisprach.
5.3.2
Unter dem Gesichtspunkt der Zurechnung ist im vorliegenden Fall entscheidend, zu welcher Einschätzung eine sorgfältige Fachperson im November 2003 in Bezug auf die Fragen der Suizidgefahr und der Gefahr für Dritte gelangt wäre und ob die zuständige Behörde in Anbetracht dieser Einschätzung nach Massgabe der Bestimmungen der Waffengesetzgebung im Rahmen ihres Entscheidungsspielraums die Rückgabe der Schusswaffen angeordnet oder aber die Rückgabe allein wegen einer relevanten Suizidgefahr oder (auch) wegen einer relevanten Gefahr für Dritte verweigert hätte.
5.3.3
Das Bundesgericht kann die Frage, zu welcher Einschätzung eine sorgfältige Fachperson im November 2003 zu den Fragen der Suizidgefahr und der Gefahr für Dritte gelangt wäre, im vorliegenden Verfahren nicht selber an Stelle der Vorinstanz entscheiden, da es sich dabei nicht um eine Rechts-, sondern um eine Tatfrage handelt.
In diesem Zusammenhang ist immerhin auf Folgendes hinzuweisen.
Das Risiko einer Fehleinschätzung ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung zweifellos umso grösser, je unsorgfältiger die ihr zugrunde liegende Untersuchung ist, und es ist umso kleiner, je sorgfältiger die Untersuchung ist. Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung liesse sich aber im vorliegenden Fall - in dem von der fachmännischen Einschätzung die Rückgabe der beiden Schusswaffen abhing - nicht damit begründen, dass der Beschwerdegegner durch sein sorgfaltswidriges Verhalten das Risiko einer Fehleinschätzung und damit das Risiko einer Rückgabe der Schusswaffen trotz allfälliger Gefahr für Dritte und aus diesem Grunde auch das Risiko des Erfolgseintritts erhöht habe. Aus dem Umstand, dass bei sorgfaltswidriger Untersuchung das Risiko einer Fehleinschätzung grösser ist und somit statistisch häufiger eine Fehleinschätzung erfolgt, ergibt sich weder erstens, dass die in einem bestimmten
konkreten Einzelfall
getroffene Einschätzung falsch ist, noch zweitens, dass bei sorgfältiger Untersuchung eine andere Einschätzung vorgenommen worden wäre. Denn in jedem konkreten Einzelfall kann sich einerseits das grosse Risiko einer Fehleinschätzung bei unsorgfältiger Untersuchung gerade nicht verwirklicht oder andererseits das kleine Risiko einer Fehleinschätzung bei
BGE 135 IV 56 S. 74
sorgfältiger Untersuchung gerade realisiert haben, so dass im Ergebnis einerseits beide Einschätzungen übereinstimmend richtig oder andererseits beide Einschätzungen übereinstimmend unrichtig sind.
Allerdings hat A. bloss rund vier Monate nach der Ausstellung der "Unbedenklichkeitserklärung" durch Einsatz einer Schusswaffe das Opfer schwer verletzt. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass eine sorgfältige Fachperson im November 2003 eine von A. ausgehende Gefahr für Dritte aus Waffenbesitz mit hoher Wahrscheinlichkeit erkannt hätte. Denn in der Schussabgabe konnte sich auch lediglich ein nie ganz auszuschliessendes, sozial erlaubtes Rest-Risiko oder aber eine erst nach November 2003 infolge Änderung der Verhältnisse entstandene Gefahr verwirklicht haben.
5.4
Die Sache ist daher in Gutheissung der Beschwerde im Sinne der Erwägungen zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird sich mit der bis anhin nicht entschiedenen Frage befassen, zu welcher Einschätzung eine sorgfältige Fachperson im November 2003 in Bezug auf die Fragen der Suizidgefahr und der Gefahr für Dritte gelangt wäre, und sie wird prüfen, ob in Anbetracht dieser Einschätzung und in Anwendung der Bestimmungen über die Waffengesetzgebung die Rückgabe der Schusswaffen angeordnet oder aber allein wegen einer relevanten Suizidgefahr oder (auch) wegen einer relevanten Gefahr für Dritte verweigert worden wäre.
5.4.1
Sollte die Vorinstanz zur Erkenntnis gelangen, dass die Abklärung dieser Frage im heutigen Zeitpunkt nicht mehr möglich ist, ist der Beschwerdegegner in Anwendung der Maxime "in dubio pro reo" als Beweislastregel freizusprechen, weil nicht erstellt ist, dass ein sorgfältiges Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt des Erfolgs verhindert hätte.
5.4.2
Sollte eine sorgfältige Fachperson im November 2003 zu einer Einschätzung gelangt sein, bei welcher die zuständige Behörde in Anwendung der Bestimmungen der Waffengesetzgebung mangels einer relevanten Gefahr die Rückgaben der beiden Schusswaffen angeordnet hätte, so wäre der Beschwerdegegner freizusprechen, weil ein sorgfältiges Verhalten den Eintritt des Erfolgs nicht verhindert hätte und somit zwischen dem sorgfaltswidrigen Verhalten des Beschwerdegegners und dem eingetretenen Erfolg der erforderliche Zusammenhang nicht besteht.
BGE 135 IV 56 S. 75
5.4.3
Sollte eine sorgfältige Fachperson im November 2003 zu einer Einschätzung gelangt sein, bei welcher die zuständige Behörde in Anwendung der Bestimmungen der Waffengesetzgebung die Rückgabe der Schusswaffen nicht wegen einer relevanten Gefahr für Dritte, sondern allein wegen einer relevanten Suizidgefahr verweigert hätte, so hätte der Beschwerdegegner den Tatbestand der fahrlässigen schweren Körperverletzung nicht erfüllt, obschon bei sorgfaltsgemässem Verhalten die beiden Schusswaffen nicht zurückgegeben worden wären. Denn soweit aufgrund der Einschätzung der sorgfältigen Fachperson eine relevante Gefahr für Dritte verneint worden wäre, war das sorgfaltswidrige Verhalten des Beschwerdegegners, obschon es die Rückgabe der beiden Pistolen zur Folge hatte, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den allgemeinen Erfahrungen des Lebens nicht geeignet, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, so dass es am erforderlichen
adäquaten
Kausalzusammenhang fehlt.
5.4.4
Sollte eine sorgfältige Fachperson im November 2003 zu einer Einschätzung gelangt sein, bei welcher die zuständige Behörde in Anwendung der Bestimmungen der Waffengesetzgebung (auch) eine relevante Gefahr für Dritte bejaht hätte, so ist der eingetretene Erfolg dem Beschwerdegegner zurechenbar. In diesem Fall hätte der Beschwerdegegner den Tatbestand der fahrlässigen schweren Körperverletzung erfüllt, da auch die übrigen Voraussetzungen hiefür gegeben sind. Der Beschwerdegegner schuf durch seine sorgfaltswidrige Untersuchung und die gestützt darauf ausgestellte "Unbedenklichkeitserklärung", auf deren Grundlage das Polizeikommando die beiden Pistolen A. zurückgab, ein unerlaubtes Risiko, das sich im tatbestandsmässigen Erfolg in seiner konkreten Gestalt verwirklichte, was er bei pflichtgemässer Vorsicht voraussehen konnte, da seine Methode, wie er wusste, erheblich von den etablierten, gründlicheren Untersuchungsmethoden abwich. Mit anderen Worten war gemäss einer insoweit zutreffenden Erwägung im angefochtenen Entscheid sein sorgfaltswidriges Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens geeignet, einen Erfolg von der Art des eingetretenen zu begünstigen, was er bei pflichtgemässer Vorsicht auch erkennen musste.