Urteilskopf
141 IV 244
31. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_1224/2014 vom 9. April 2015
Regeste
Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG
und
Art. 82 Abs. 4 StPO
; Begründungspflicht der Rechtsmittelinstanz.
Aus einem Entscheid muss klar hervorgehen, von welchem festgestellten Sachverhalt das Gericht ausgegangen ist und welche rechtlichen Überlegungen es angestellt hat (E. 1.2.1).
Von der Möglichkeit, auf die Begründung der Vorinstanz zu verweisen (
Art. 82 Abs. 4 StPO
), ist zurückhaltend Gebrauch zu machen. Ein Verweis kommt bei strittigen Sachverhalten und in Bezug auf die rechtliche Subsumtion nur dann in Frage, wenn die Rechtsmittelinstanz den vorinstanzlichen Erwägungen (vollumfänglich) beipflichtet (E. 1.2.3).
A.
X. war von Ende Februar 2010 bis Anfang März 2011 an der Lagerung sowie an landesinternen und grenzüberschreitenden Transporten von rund 6,4 kg Kokaingemisch und ca. 75 kg Streckmitteln beteiligt. Drahtzieher und Organisator der einzelnen Tätigkeiten und insbesondere verantwortlich für den Absatz des Kokains und der Streckmittel war A.
B.
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X. am 27. Februar 2014 wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz (4,4 kg reines Kokain und 75 kg Streckmittel) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Das Obergericht des Kantons Zürich erkannte ein strafbares Verhalten nur hinsichtlich der Handlungen mit 4,4 kg Kokain und sprach ihn von den Vorwürfen des Anstalten-Treffens in Zusammenhang mit Streckmitteln frei. Es verurteilte X. wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlungen gegen das BetmG zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten.
C.
X. führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, er sei zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren zu verurteilen, deren Vollzug im Umfang von 18 Monaten aufzuschieben sei. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung der Strafe oder des "Vollzugs" an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf Vernehmlassungen verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
1.2.1
Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, sind den Parteien schriftlich zu eröffnen und müssen
BGE 141 IV 244 S. 246
namentlich die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art, insbesondere die Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen enthalten (
Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG
). Aus dem Entscheid muss klar hervorgehen, von welchem festgestellten Sachverhalt die Vorinstanz ausgegangen ist und welche rechtlichen Überlegungen sie angestellt hat (
BGE 138 IV 81
E. 2.2;
BGE 135 II 145
E. 8.2; je mit Hinweisen). Die Begründungspflicht dient dazu, den Parteien die für den Entscheid massgebenden Umstände zur Kenntnis zu bringen, damit sie sich ein Bild über die Tragweite machen, ihn auf seine Richtigkeit hin überprüfen und gegebenenfalls sachgemäss anfechten können (Urteil 8C_258/2014 vom 15. Dezember 2014 E. 5.2 mit Hinweis). Genügt ein Entscheid diesen Anforderungen nicht, so kann das Bundesgericht ihn in Anwendung von
Art. 112 Abs. 3 BGG
an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben. Hingegen steht es ihm nicht zu, sich an die Stelle der Vorinstanz zu setzen, die ihrer Aufgabe nicht nachgekommen ist (Urteil 5D_10/2014 vom 25. März 2014 E. 2.1 mit Hinweisen).
1.2.2
Ist ein Urteil zu begründen, so hält das Gericht in der Begründung auch die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung fest (
Art. 50 StGB
). Der Richter muss die Überlegungen, die er bei der Bemessung der Strafe vorgenommen hat, in den Grundzügen wiedergeben, sodass die Strafzumessung nachvollziehbar ist (
BGE 134 IV 17
E. 2.1; Urteil 6B_510/2013 vom 4. März 2014 E. 4.3; je mit Hinweisen).
1.2.3
Im Rechtsmittelverfahren kann das Gericht für die tatsächliche und die rechtliche Würdigung des angeklagten Sachverhalts aus Gründen der Prozessökonomie auf die Begründung der Vorinstanz verweisen, wenn es dieser beipflichtet (
Art. 82 Abs. 4 StPO
; Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1157 Ziff. 2.2.8.5 zu Art. 80). Auf neue tatsächliche oder rechtliche Vorbringen, die erstmals im Rechtsmittelverfahren vorgebracht werden, ist einzugehen. Vom Instrument der Verweisung ist zurückhaltend Gebrauch zu machen, da andernfalls bei der das Rechtsmittel ergreifenden Person der Eindruck entstehen kann, die Rechtsmittelinstanz setze sich mit ihren Vorbringen nicht auseinander (vgl. NILS STOHNER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 9 zu
Art. 82 StPO
).
Ein Verweis erscheint in erster Linie bei nicht streitigen Sachverhalten und abstrakten Rechtsausführungen sinnvoll, kommt hingegen bei strittigen Sachverhalten und Beweiswürdigungen sowie der
BGE 141 IV 244 S. 247
rechtlichen Subsumtion des konkreten Falls nur dann in Frage, wenn die Rechtsmittelinstanz den vorinstanzlichen Erwägungen (vollumfänglich) beipflichtet.
Art. 82 Abs. 4 StPO
entbindet die Rechtsmittelinstanzen nicht von deren Begründungspflicht und findet seine Grenzen, wenn sich nicht mehr ohne Weiteres feststellen lässt, was die massgebenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen der Rechtsmittelinstanz sind (vgl. Urteile 6B_776/2013 vom 22. Juli 2014 E. 1.5; 6B_356/2012 vom 1. Oktober 2012 E. 3.5; je mit Hinweisen; BERNHARD EHRENZELLER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 7 f. zu
Art. 112 BGG
).
1.3.1
Die Vorinstanz verweist sowohl bei der (nicht angefochtenen) Sachverhaltsfeststellung als auch bei ihren rechtlichen Erwägungen in Anwendung von
Art. 82 Abs. 4 StPO
mehrmals "grundsätzlich" bzw. "teilweise" auf das erstinstanzliche Urteil. Sie macht sich dessen Erwägungen jedoch nicht vollumfänglich zu eigen oder bestätigt diese umfassend, sondern nimmt eine Vielzahl von "Korrekturen, Ergänzungen und Präzisierungen" vor. Ihren Verweisungen und Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, in welchem Umfang sie die erstinstanzlichen Erwägungen übernimmt, präzisiert oder korrigiert bzw. ersetzt. Es ist dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten und auch nicht Aufgabe des Bundesgerichts, aufgrund eines Abgleichs beider kantonaler Entscheide zu ermitteln, was aller Wahrscheinlichkeit nach die massgebenden und verbindlichen Erwägungen des Berufungsurteils sind. Die Entscheidgründe müssen sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht ohne Weiteres nachvollziehbar sein, was vorliegend nicht der Fall ist. Zudem ist das Berufungsurteil trotz der zahlreichen Verweise auf die erstinstanzlichen Erwägungen sechs Seiten länger als der Entscheid des Bezirksgerichts, und die vorinstanzlichen Strafzumessungserwägungen sind aufgrund der umfangreichen "Korrekturen, Präzisierungen und Ergänzungen" ebenfalls nicht knapper, weshalb sich die Verweise auch aus Gründen der Verfahrensökonomie als nicht zweckmässig erweisen.
1.3.2
Die vorinstanzlichen Erwägungen sind aufgrund der unklaren Verweise teilweise missverständlich und widersprüchlich. Inwieweit das Bezirksgericht die massgebenden Strafzumessungsfaktoren "grundsätzlich zutreffend genannt und gewürdigt" haben soll, obwohl es entgegen der Vorinstanz auch den Umgang mit Streckmitteln für strafbar hielt und das objektive Tatverschulden als "erheblich" und nicht nur wie die Vorinstanz als "nicht besonders schwer" einstufte,
BGE 141 IV 244 S. 248
ist nicht nachvollziehbar. Unklar bleibt, in welchem Umfang die Vorinstanz die Freisprüche von rund der Hälfte der Anklagevorwürfe hinsichtlich des Anstalten-Treffens zu Handlungen mit 75 kg Streckmitteln berücksichtigt. Die rudimentäre Erwägung, "dass der Beschwerdeführer bezüglich der Handlungen mit dem Streckmittel freizusprechen ist, wurde berücksichtigt, wirkt sich bei der Strafzumessung aber nur geringfügig aus (vgl. dazu auch Urk. 71 S. 17 [erstinstanzliches Urteil])", genügt im Hinblick auf eine transparente, in den Grundzügen nachvollziehbare und überprüfbare Strafzumessung nicht. Daran ändert auch der Verweis auf das erstinstanzliche Urteil nichts, der sich zudem als widersprüchlich erweist. Die Vorinstanz stellt zutreffend fest, dass entgegen der erstinstanzlichen Erwägungen das BetmG (SR 812.121) nicht in seiner aktuellen, sondern in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung anzuwenden ist, weshalb die vom Bezirksgericht vorgenommene "leichte Erhöhung" nicht mit
Art. 19 Abs. 3 lit. c BetmG
(gemeint sein dürfte lit. a), der in der zum Tatzeitpunkt geltenden und anwendbaren Gesetzesfassung noch nicht existierte, begründet werden kann. Dass die Vorinstanz das erstinstanzliche Strafmass von 4 Jahren Freiheitsstrafe in ihren Erwägungen bestätigt, letztlich jedoch eine Freiheitsstrafe von 3 ¾ Jahren ausspricht, ist unerklärlich.
1.3.3
Zudem verkennt die Vorinstanz, dass die Berufung nach
Art. 398 ff. StPO
grundsätzlich ein reformatorisches Rechtsmittel ist (BBl 2006 1318 Ziff. 2.9.3.3). Sie verfügt als Berufungsgericht über umfassende Kognition in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (vgl.
Art. 398 Abs. 2 und 3 StPO
; Urteile 6B_497/2014 vom 6. März 2015 E. 1.4; 6B_339/2014 vom 27. November 2014 E. 1.3, nicht publ. in:
BGE 140 IV 145
), das - tritt es auf die Berufung ein - ein neues, den erstinstanzlichen Entscheid ersetzendes Urteil fällt (vgl.
Art. 408 StPO
). Die Vorinstanz hätte die Strafe unter Berücksichtigung der Freisprüche sowie der übrigen wesentlichen Strafzumessungsfaktoren neu festsetzen und nachvollziehbar begründen müssen und sich nicht mit einer Überprüfung der erstinstanzlichen Rechtsanwendung begnügen dürfen. Daran ändert die Möglichkeit, im Rechtsmittelverfahren auf die Begründung der Erstinstanz zu verweisen, nichts (vgl. Urteile 6B_776/2013 vom 22. Juli 2014 E. 1.5; 6B_356/2012 vom 1. Oktober 2012 E. 3.5; je mit Hinweisen).