BGE 143 IV 5 vom 19. Januar 2017

Dossiernummer: 6B_310/2016

Datum: 19. Januar 2017

Artikelreferenzen:  Art. 21 VwVG, Art. 3 StPO, Art. 89 StPO, Art. 91 StPO, Art. 383 StPO, Art. 143 ZPO, Art. 9 BV, Art. 48 BGG, Art. 99 BGG , Art. 91 Abs. 5 und Art. 383 Abs. 2 StPO, Art. 3 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 5 StPO, Art. 383 Abs. 1 Satz 1 StPO, Art. 383 Abs. 2 StPO, Art. 143 Abs. 3 ZPO, Art. 21 Abs. 3 VwVG, Art. 48 Abs. 4 BGG, Art. 89 ff. StPO, Art. 99 Abs. 1 BGG

BGE referenzen:  139 III 364 , 139 III 364

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

143 IV 5


2. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. GmbH gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und A. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_310/2016 vom 19. Januar 2017

Regeste

Art. 9 BV , Art. 3 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 5 StPO ; Einhaltung der Frist für eine Zahlung an eine Strafbehörde.
Wird die Sicherheitsleistung bei einer Post- oder Banküberweisung nicht innert der angesetzten Frist der Strafbehörde gutgeschrieben, muss diese den Vorschusspflichtigen zum Nachweis auffordern, dass der Betrag am letzten Tag der Frist seinem Post- oder Bankkonto in der Schweiz belastet wurde (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 6

BGE 143 IV 5 S. 6

A. Am 27. November 2015 stellte die Staatsanwaltschaft Winterthur-Unterland das Strafverfahren gegen A. wegen Betrugs und Urkundenfälschung ein. Dagegen führte die X. GmbH am 17. Dezember 2015 Beschwerde, worauf das Obergericht des Kantons Zürich am 4. März 2016 nicht eintrat mit der Begründung, die verlangte Sicherheit sei nicht rechtzeitig geleistet worden.

B. Die X. GmbH beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Beschluss des Obergerichts vom 4. März 2016 sei aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung an dieses zurückzuweisen.

C. Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf eine Vernehmlassung. A. liess sich nicht vernehmen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Die Verfahrensleitung der Rechtsmittelinstanz kann die Privatklägerschaft verpflichten, innert einer Frist für allfällige Kosten und Entschädigungen Sicherheit zu leisten ( Art. 383 Abs. 1 Satz 1 StPO ). Wird die Sicherheit nicht fristgerecht geleistet, so tritt die Rechtsmittelinstanz auf das Rechtsmittel nicht ein ( Art. 383 Abs. 2 StPO ).

2.2 Die Vorinstanz stellt fest, sie habe die Beschwerdeführerin am 28. Dezember 2015 verpflichtet, innert einer Frist von 30 Tagen eine Sicherheit von Fr. 5'000.- zu leisten. Diese Verfügung sei der Beschwerdeführerin am 6. Januar 2016 zugestellt worden, womit die Frist zur Erbringung der Sicherheitsleistung am 5. Februar 2016 geendet habe. Am 8. Februar 2016 sei der gleichentags von der B. AG für die Beschwerdeführerin eingezahlte Betrag von Fr. 5'000.- eingetroffen. Die Sicherheitsleistung sei somit verspätet erfolgt, weshalb auf die Beschwerde nicht einzutreten sei.

2.3 Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass die Frist zur Erbringung der Sicherheitsleistung am 5. Februar 2016 endete. Sie wirft der Vorinstanz aber vor, Art. 91 Abs. 5 und Art. 383 Abs. 2 StPO sowie ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt zu haben und in der Folge den für den Verfahrensausgang entscheidenden Sachverhalt falsch festgestellt zu haben, indem sie die Sicherheitsleistung als verspätet erachtete und auf die Beschwerde nicht eintrat.

2.4 Gemäss Art. 91 Abs. 5 StPO ist die Frist für eine Zahlung an eine Strafbehörde gewahrt, wenn der Betrag spätestens am letzten Tag der Frist zugunsten der Strafbehörde der Schweizerischen Post
BGE 143 IV 5 S. 7
übergeben oder einem Post- oder Bankkonto in der Schweiz belastet worden ist. Die Regelung entspricht Art. 143 Abs. 3 ZPO (vgl. dazu BGE 139 III 364 E. 3 S. 365 ff.), Art. 21 Abs. 3 VwVG (SR 172.021) und Art. 48 Abs. 4 BGG .
Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit der Sicherheitsleistung trägt die Privatklägerschaft (MOREILLON/PAREIN-REYMOND, Petit commentaire du Code de procédure pénale, 2. Aufl. 2016, N. 22 zu Art. 91 StPO ; DANIEL STOLL, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 22 zu Art. 91 StPO ; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 8 zu Art. 91 StPO ; JO PITTELOUD, Code de procédure pénale suisse [CPP], commentaire à l'usage des praticiens, 2012, N. 213 zu Art. 89 ff. StPO ; CHRISTOF RIEDO, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 64 zu Art. 91 StPO ; vgl. auch DENIS TAPPY, in: Code de procédure civile commenté, 2011, N. 8, 18 f. zu Art. 143 ZPO ).

2.5 Die Vorinstanz stellt fest, am 8. Februar 2016 sei "die gleichentags von der B. AG für die Beschwerdeführerin eingezahlte Prozesskaution von Fr. 5'000.-" eingetroffen. Sie verweist auf einen Auszug aus der Gerichtsbuchhaltung vom 9. Februar 2016, worauf der 8. Februar 2016 als Buchungsdatum und als Einzahlungsdatum vermerkt ist.
Die Beschwerdeführerin hält dagegen, die Sicherheitsleistung sei bereits am 5. Februar 2016 dem Bankkonto der B. AG belastet worden.

2.6 Soweit die Vorinstanz auf den 8. Februar 2016 als Datum abgestellt haben sollte, an welchem der Betrag bei der Gerichtskasse eingetroffen ist, kann sie daraus nichts für die Verspätung der Sicherheitsleistung ableiten. Gemäss Art. 91 Abs. 5 StPO ist nicht der Eingang des Zahlungsauftrags massgebend, sondern der Valutatag der Belastung auf dem Post- oder Bankkonto des Zahlungspflichtigen (vgl. STOLL, a.a.O., N. 22 zu Art. 91 StPO ; RIEDO, a.a.O., N. 58, 62, 64 zu Art. 91 StPO ; vgl. auch BGE 139 III 364 E. 3.2.1 S. 365 f. mit Hinweis).

2.7 Bei einer Post- oder Banküberweisung muss im Fall, dass die Sicherheitsleistung nicht innert der angesetzten Frist der Strafbehörde gutgeschrieben worden ist, die Strafbehörde den Vorschusspflichtigen zum Nachweis auffordern, dass der Betrag am letzten Tag der Frist seinem Post- oder Bankkonto in der Schweiz (oder desjenigen seines Vertreters) belastet worden ist. Dieses Vorgehen wird in der
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Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vorgezeichnet ( BGE 139 III 364 E. 3.2.2 S. 366; BBl 2001 4298 f. Ziff. 4.1.2.5; vgl. auch MOREILLON/PAREIN-REYMOND, a.a.O., N. 22 zu Art. 91 StPO ; SCHMID, a.a.O., N. 8 zu Art. 91 StPO ; RIEDO, a.a.O., N. 64 zu Art. 91 StPO ; DANIELA BRÜSCHWEILER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 12 zu Art. 91 StPO ).

2.8 Aus den vorinstanzlichen Akten geht nicht hervor, dass die Vorinstanz die Beschwerdeführerin aufgefordert hätte, den ihr obliegenden Nachweis der rechtzeitigen Sicherheitsleistung zu erbringen. Dies hätte sich indessen aufgedrängt, weil die Sicherheitsleistung nur einen Bankarbeitstag nach Ablauf der angesetzten Frist dem Konto der Obergerichtskasse gutgeschrieben wurde. Der Anspruch, von den staatlichen Behörden nach Treu und Glauben behandelt zu werden ( Art. 9 BV , Art. 3 Abs. 2 StPO ), garantiert der Beschwerdeführerin, dass die Vorinstanz die Rückfrage zum Belastungszeitpunkt vornimmt. Die Vorinstanz musste an der Verspätung Zweifel haben und wäre aus diesem Grund verpflichtet gewesen, die Beschwerdeführerin dazu vorgängig anzuhören. In der Verfügung betreffend Sicherheitsleistung vom 28. Dezember 2015 wurde die Beschwerdeführerin jedenfalls nicht im Voraus aufgefordert, den entsprechenden Nachweis innert einer bestimmten Frist zu erbringen. Somit verneinte die Vorinstanz die Rechtzeitigkeit der Sicherheitsleistung gemäss Art. 91 Abs. 5 StPO zu Unrecht (vgl. BGE 139 III 364 E. 3.2.3 S. 366 f. mit Hinweisen).

2.9 Es ist nicht erforderlich, dass die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit diese den Zeitpunkt der Belastung abklärt, indem sie die Beschwerdeführerin auffordert, entsprechende Nachweise zu erbringen. Die Beschwerdeführerin legt vor Bundesgericht eine Transaktionsbestätigung vom 5. Februar 2016 und ein Schreiben der C.-Bank vom 15. März 2016 ins Recht, wonach dem Konto der B. AG mit Valuta per 5. Februar 2016 Fr. 5'000.- belastet wurden zu Gunsten der "Obergerichtkasse 8001 Zürich" mit dem Zahlungsvermerk "Verfügung vom 28.12.2015". Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismittel zum Nachweis, dass der Betrag am letzten Tag der von der Vorinstanz angesetzten Frist dem Bankkonto der B. AG belastet worden ist, sind im bundesgerichtlichen Verfahren zulässig, weil der vorinstanzliche Entscheid Anlass zum Vorbringen gab ( Art. 99 Abs. 1 BGG ). Der Kontoausdruck eines Post- oder des Bankkontos, welcher die Belastung bestätigt, ist zum Nachweis der Rechtzeitigkeit geeignet, wenn daraus ersichtlich
BGE 143 IV 5 S. 9
ist, dass die Verarbeitung des Zahlungsauftrags und die damit verbundene Belastung tatsächlich spätestens am letzten Tag der Frist geschehen ist (MOREILLON/PAREIN-REYMOND, a.a.O., N. 22 zu Art. 91 StPO ; vgl. auch BGE 139 III 364 E. 3.3 S. 367 mit Hinweis). Die Beschwerdeführerin bringt mit der vorgelegten Transaktionsbestätigung und dem Schreiben der C.-Bank den hinreichenden Beweis, dass die Belastung der Sicherheitsleistung am Freitag, 5. Februar 2016, und somit am letzten Tag der Frist erfolgt ist. (...)

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