BGE 84 I 221 vom 20. November 1958

Datum: 20. November 1958

Artikelreferenzen:  Art. 106 SchKG, Art. 107 SchKG, Art. 109 SchKG, Art. 126 SchKG , Art. 106-109 SchKG, § 317 ZPO

BGE referenzen:  81 III 54, 86 I 86, 99 IA 407 , 81 III 54

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

84 I 221


31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung als staatsrechtlicher Kammer vom 20. November 1958 i.S. Lippuner gegen Margelisch und Kantonsgericht Schwyz.

Regeste

Verbot der Klageänderung (§ 205 Ziff. 1 der ZPO des Kantons Schwyz).
Verletzt der Richter dieses Verbot in willkürlicher Weise durch Berücksichtigung einer nachträglichen eventuellen Faustpfandansprache im Widerspruchsprozess, nachdem anfänglich nur auf Anerkennung des Eigentums geklagt worden war?
Gegenstand der Widerspruchsklage ( Art. 106-109 SchKG ).

Sachverhalt ab Seite 222

BGE 84 I 221 S. 222
Aus dem Tatbestand:
In einer von Lippuner gegen Janser angehobenen Betreibung wurde ein auf der Liegenschaft des Schuldners errichteter, im Besitze des Bauunternehmers Margelisch befindlicher Inhaberschuldbrief von Fr. 10'000.-- gepfändet. An diesem Pfandtitel beanspruchte Margelisch ein Faustpfandrecht für eine Forderung von Fr. 7000.--. Es handelte sich um eine restliche Bauforderung mit Verzugszinsen. Das Betreibungsamt eröffnete über dieses Pfandrecht ein Widerspruchsverfahren nach Art. 106/7 SchKG (mit Klägerrolle des Pfandansprechers, der sich darüber nicht beschwerte), bezeichnete dann aber bei der Ansetzung der Klagefrist den vom betreibenden Gläubiger bestrittenen Anspruch als Eigentumsanspruch. Hierauf klagte Margelisch auf Anerkennung des ihm an diesem Schuldbrief zustehenden Eigentums und brachte zur Begründung vor, Janser habe ihm den Schuldbrief an Zahlungsstatt übergeben. In der Klagebeantwortung wies Lippuner darauf hin, dass Margelisch bisher den Schuldbrief immer nur als Sicherheit für seine restliche Bauforderung beansprucht habe. Erst nach Abschluss dieses Schriftenwechsels stellte Margelisch ein Eventualbegehren um Anerkennung eines ihm am streitigen Schuldbrief zustehenden Faustpfandrechtes. Darin sah Lippuner eine unzulässige Klageänderung, und er stellte den Antrag, es sei auf das Eventualbegehren nicht einzutreten. Die kantonalen Gerichte verwarfen diese Einrede und hiessen das Eventualbegehren gut.
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Gegen das Urteil des Kantonsgerichts Schwyz vom 22. April 1958 richtet sich die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde des Beklagten Lippuner. Er rügt insbesondere eine willkürliche Verletzung des in § 205 Ziff. 1 der kantonalen ausgesprochenen Verbotes der Klageänderung.
Diese Vorschrift lautet: "§ 205.
Die Rechtshängigkeit der Klage hat folgende Wirkungen: 1. jede Änderung des aufgestellten Rechtsbegehrens und der Parteibezeichnungen, vorbehältlich der blossen Verdeutlichung derselben, sowie der Berichtigung von Rechnungsirrtümern oder offenbaren Schreibfehlern, ist ausgeschlossen;"
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:
Nach Ansicht des Beschwerdeführers durfte in diesem Widerspruchsprozess nur über das mit der Klage geltend gemachte Eigentum an dem gepfändeten Inhaberschuldbrief entschieden werden. Das erst nach Abschluss des Schriftenwechsels in eventuellem Sinn gestellte Rechtsbegehren betrachtet er, wie er sogleich nach Empfang der Nachtragseingabe vom 9. Mai 1957 einwendete, als eine vom kantonalen Prozessrecht (§ 205 Ziffer 1 der schwyzerischen ZPO) verpönte Klageänderung.
Demgegenüber beruft sich der Kläger in der Beschwerdebeantwortung auf die rechtliche Natur der Widerspruchsklage. Es geht im Widerspruchsprozess nach seinen Ausführungen gar nicht um ein bestimmtes vom Dritten beanspruchtes dingliches Recht, sei es Eigentum oder Pfandrecht, sondern einfach um "ein die Pfändungspfandrechte des betreibenden Gläubigers ausschliessendes oder zurückdrängendes Recht". Der Drittansprecher habe in seinem Rechtsbegehren nur dies zu behaupten; die dingliche Qualität seines Anspruchs habe also nicht als Gegenstand des Widerspruchsprozesses zu gelten, und das Urteil habe darüber und namentlich über eine dem dinglichen Recht zugrunde liegende Forderung nichts Verbindliches auszusagen. Dieser Betrachtungsweise ist nicht beizutreten.
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Man mag zwar zusammenfassend das Recht eines Dritten an gepfändeten Sachen als "ein die Pfändung ausschliessendes oder zurückdrängendes Recht" bezeichnen. Es ist aber für die Wirkung des Urteils auf den Fortgang der Betreibung von Belang, ob ein "die Pfändung ausschliessendes Recht" (Eigentum) oder bloss ein "sie zurückdrängendes Recht" (Pfandrecht) vorliege. Das Rechtsbegehren des Ansprechers hat daher anzugeben, ob das eine oder das andere dieser Rechte oder beide, nämlich in erster Linie Eigentum und in eventuellem Sinn Pfandrecht, geltend gemacht werden. Übrigens würde statt von einem "die Pfändung zurückdrängenden Recht" besser von einem "bei der Verwertung zu berücksichtigenden Vorzugsrecht" gesprochen. Denn das Pfandrecht lässt im Unterschied zum Eigentum die Pfändung als solche gänzlich zu Recht bestehen, so dass unter den gesetzlichen Voraussetzungen alsdann die Verwertung anzuordnen sein wird. Zum Zuschlag bei der Zwangsversteigerung (oder zu einem Freihandverkaufe) darf es dann aber nur kommen, wenn die als pfandgesichert befundenen Forderungen überboten werden, da nur ein nach deren Deckung verbleibender Überschuss den pfändenden Gläubigern zufällt ( Art. 126 SchKG ). Daher hat das Urteil im Widerspruchsprozess die Art des Drittmannsrechtes zu bezeichnen und bei Anerkennung eines Pfandrechtes auch den Betrag der pfandgesicherten Forderung, der bei der Verwertung überboten werden muss, rechtsverbindlich festzusetzen (wenn auch natürlich nur für das betreffende Betreibungsverfahren und mit Rechtskraftwirkung nur für die Parteien des Rechtsstreites). Nur so wird Klarheit darüber geschaffen, ob die Sache gepfändet bleibe und, bei blossem Pfandrecht, unter welchen Bedingungen sie verwertet werden dürfe. Dementsprechend unterscheiden die Betreibungsbehörden genau zwischen Eigentums- und Pfandansprachen (vgl. BGE 81 III 54 ff.). Auch die für die Fristansetzungen nach Art. 107 und 109 SchKG zu verwendenden obligatorischen Formulare (vgl. Nr. 18 und 24) verlangen
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die Angabe des beanspruchten Rechtes und bei Pfand- und Retentionsrechtsansprachen die Bezifferung der gesicherten Forderung. Somit erweist sich der Einwand des Beschwerdegegners, es liege von vornherein keine Klageänderung vor, weil die Angabe der Art des von ihm beanspruchten dinglichen Rechtes keinen wesentlichen Bestandteil des Klagebegehrens bilde, als unzutreffend.
Nun bestanden aber sachlich vertretbare Gründe, das nachträglich vom Kläger gestellte Eventualbegehren nicht unter das Klageänderungsverbot der kantonalen Prozessordnung fallen zu lassen. In der Lehre des Prozessrechts ist allgemein anerkannt, dass die blosse Verminderung des anfänglich gestellten Klagebegehrens, sei es durch teilweisen Verzicht oder durch Stellung eines weniger weit gehenden Eventualbegehrens, nicht als Klageänderung zu gelten hat (vgl. GULDENER, Schweizeriches Zivilprozessrecht, 2. Auflage, S. 244/45; LEUCH, Kommentar zur bernischen ZPO, N. 2 zu Art. 94). Ein Pfandrecht kann allerdings im allgemeinen gegenüber dem Eigentum nicht in dem Sinn als ein geringeres Recht gelten, dass es in jenem begrifflich schon enthalten wäre und also jede Eigentumsklage eine Pfandrechtsklage in sich schlösse. Vielmehr wird oft um das Eigentum gestritten, ohne dass bei dessen Verneinung ein Pfandrecht in Frage käme. Hängt doch des Pfandrecht notwendig mit einer durch es zu sichernden Forderung zusammen, was für das Eigentum nicht zutrifft. Beruft sich aber der dritte Besitzer einer gepfändeten Sache auf ein ihm mit Rücksicht auf eine ihm zustehende unbeglichene Forderung übertragenes Eigentum, so kann es sich um endgültige Eigentumsübertragung (an Zahlungsstatt oder zahlungshalber) oder um fiduziarischen Eigentumserwerb (Sicherungsübereignung) handeln, und es mag sich alsdann im Prozess erweisen, dass ihm gar nicht Eigentum, wohl aber ein Pfandrecht zusteht. Bei der Übertragung einer Sache oder eines Inhaberpapiers an einen drängenden Gläubiger wird denn auch mitunter der Inhalt des ihm daran zustehenden Rechtes nicht eindeutig vereinbart.
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Deshalb kommt es bei Pfändungen häufig zu Drittansprachen, die auf Eigentum und zugleich eventuell auf Pfandrecht lauten, worauf in der Regel über die beiden alternativ erhobenen Ansprachen ein einheitliches WWiderspruchsverfahren durchzuführen ist (vgl. BGE 69 III 38 ff.). Bei solchem Zusammenhang des Bestzierwerbs mit einer unbeglichenen Forderung erscheint fiduziarisches Eigentum (zur Sicherstellung) als ein geringeres Recht als endgültig (an Zahlungsstatt oder zahlungshalber) übertragenes Eigentum und ein Pfandrecht als geringeres Recht als fiduziarisches Eigentum. Diese dem Zweck der Tilgung oder Sicherstellung entsprechende praktische Betrachtungsweise kann es hinreichend rechtfertigen, gegenüber einem erst im Laufe des Widerspruchsprozesses erfolgenden Übergang von einem stärkeren zum schwächeren dieser Ansprüche, und ebenso gegenüber der ergänzenden Geltendmachung eines schwächern Anspruchs in eventuellem Sinne, ein vom Prozessgesetz aufgestelltes Klageänderungsverbot nicht Platz greifen zu lassen. Es handelt sich um eine sinnvolle Milderung, nicht um eine willkürliche Missachtung dieses Verbotes. So hat denn das zürcherische Obergericht sogar eine im Widerspruchsprozess nachträglich erhobene eventuelle Faustpfandansprache, die beim Betreibungsamt nicht angemeldet worden war, vom Klageänderungsverbot ausgenommen (BlZR 11 Nr. 49), was JAEGER, Schuldbetreibungs- und Konkurspraxis I, N. 5 C zu Art. 107 SchKG , billigen zu dürfen glaubte. Von willkürlicher Nichtanwendung des Klageänderungsverbotes kann im vorliegenden Falle vollends nicht gesprochen werden. Hat doch der Kläger mit seinem Eventualbegehren das beim Betreibungsamt einzig, und zwar ordnungsgemäss schon anlässlich der Pfändung, angemeldete Faustpfandrecht zur Geltung gebracht, nachdem er sich durch die unrichtige Benennung des bestrittenen Rechtes in der betreibungsamtlichen Klagefristansetzung hatte dazu verleiten lassen, vorerst Eigentum einzuklagen. Durfte somit das Eventualbegehren als dem Klageänderungsverbot
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nicht unterstehend gelten, so brauchte auch der vom Beschwerdeführer aufgezeigte Weg einer Klageänderung ( § 317 ZPO ) nicht beschritten zu werden.

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