Urteilskopf
96 I 64
11. Urteil vom 11. März 1970 i.S. Wohnbauten AG gegen Thurgau, Kanton und Steuerrekurs-Kommission, sowie Kanton Zürich.
Regeste
Art. 4 und 46 Abs. 2 BV
; kantonale Minimalsteuer auf Liegenschaften juristischer Personen.
Die thurgauische Minimalsteuer auf dem Grundeigentum juristischer Personen verstösst weder gegen Art. 4 noch gegen
Art. 46 Abs. 2 BV
.
A.-
Am 1. Januar 1965 ist das neue thurgauische Steuergesetz (Gesetz über die Staats- und Gemeindesteuern vom 9. Juli 1964; StG) in Kraft getreten. Es enthält in § 61 folgende Bestimmung:
"Juristische Personen haben von ihrem im Kanton Thurgau gelegenen Grundeigentum eine Minimalsteuer von 0,75 Promille des Steuerwertes zu entrichten, sofern sie die Steuer vom Kapital und vom Ertrag oder die Minimalsteuer von den Bruttoeinnahmen übersteigt.
Wohnbaugenossenschaften, bei denen die Mieter das Grundkapital zur Hauptsache aufgebracht haben, sind von der Minimalsteuer auf Grundeigentum befreit."
B.-
Die Wohnbauten AG, Zürich, ist Eigentümerin einer Baulandparzelle in Romanshorn und demnach im Kanton Thurgau steuerpflichtig. Für die Jahre 1965, 1966 und 1967 wurde sie gestützt auf Abs. 1 von
§ 61 StG
zur Bezahlung der Minimalsteuer auf ihrem Grundeigentum verpflichtet, da die einfache Steuer vom Kapital und vom Ertrag die Minimalsteuer von 0,75 Promille des unbestrittenen Steuerwertes des Grundstücks von Fr. 301'500.-- nicht erreichte. In den Steueraufrechnungen
BGE 96 I 64 S. 65
vom 4. Oktober 1968 wurde die einfache Steuer für die Jahre 1965, 1966 und 1967 auf je Fr. 226.10 (0,75‰ von Fr. 301'500.--) festgesetzt.
Die dagegen erhobenen Einsprachen wies das kantonale Steueramt am 15. Januar 1969 ab. Die Wohnbauten AG zog diesen Entscheid an die Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau weiter. Sie machte vor allem geltend, die thurgauische Minimalsteuer auf dem Grundeigentum verstosse gegen das interkantonale Doppelbesteuerungsverbot und verletze den Grundsatz der Rechtsgleichheit. Die Steuerrekurskommission wies die Beschwerde am 3. Juli 1969 ab.
C.-
Die Wohnbauten AG führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, der Entscheid der Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau sei aufzuheben. In der Begründung werden die gleichen Rügen vorgebracht wie im kantonalen Rekursverfahren. Zur Stützung ihrer Auffassung, die Minimalsteuer verletze
Art. 4 BV
, beruft sich die Beschwerdeführerin vor allem auf eine Abhandlung von Frau Prof. IRENE BLUMENSTEIN (ASA 34 S. 1 ff.).
D.-
Die Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
E.-
Der Regierungsrat des Kantons Zürich weist in seiner Vernehmlassung darauf hin, dass die im Kanton Zürich erfolgten Steuereinschätzungen der Wohnbauten AG nicht angefochten worden sind.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der thurgauische Gesetzgeber hat für die juristischen Personen eine Minimalsteuer auf den Bruttoeinnahmen (
§
§ 57-60 StG
) und subsidiär eine solche auf dem Grundeigentum (
§ 61 StG
) eingeführt. Er ist dabei offensichtlich den Empfehlungen und Vorschlägen der Expertenkommission des EFZD zur Motion Piller (Bericht "Zum Problem der gleichmässigen Besteuerung der Erwerbsunternehmungen", Basel 1955) gefolgt (vgl. IRENE BLUMENSTEIN, Die Minimalsteuer der Kantone Waadt, Wallis und Thurgau, ASA 34 S. 43). Der angefochtene Entscheid betrifft indessen lediglich die Minimalsteuer auf dem Grundeigentum, so dass die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Minimalsteuer auf den Bruttoeinnahmen (Umsatz) im vorliegenden Fall nicht zu überprüfen ist.
2.
Art. 4 BV
bindet auch den Gesetzgeber. Ausser den Schranken, die sich aus dem Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung, aus dem Verfassungs- und aus dem Bundesrecht ergeben, hat deshalb der kantonale Steuergesetzgeber das Gleichheitsprinzip nach
Art. 4 BV
und das sich daraus ergebende Willkürverbot zu beachten. Gegen diese verfassungsmässigen Grundsätze verstösst ein Steuergesetz, wenn es sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt, sinn- und zwecklos ist oder rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist. Innerhalb dieses Rahmens verbleibt den Kantonen in der Gestaltung ihres Steuerrechtes ein weiter Spielraum des Ermessens; aus
Art. 4 BV
lässt sich nicht eine bestimmte Methode der Besteuerung ableiten. Das Bundesgericht greift nur bei Ermessensmissbrauch oder -überschreitung ein (
BGE 92 I 442
E. 3 und dort zitierte Entscheidungen).
Im Lichte dieser Grundsätze hat das Bundesgericht die st. gallische Minimalsteuer auf dem Grundeigentum juristischer Personen für zulässig erklärt (
BGE 92 I 439
ff.). Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass, von dieser eingehend begründeten Rechtsprechung abzugehen. Wohl unterscheidet sich die thurgauische Minimalsteuer von der st. gallischen dadurch, dass sie subsidiär sowohl in Ergänzung der ordentlichen Steuern als auch in Ergänzung der Minimalsteuer auf dem Umsatz bezogen wird, während die Minimalsteuer des Kantons St. Gallen ohne Kombination mit einer Umsatzbesteuerung bloss auf dem "amtlichen Verkehrswert" der im Kanton gelegenen Liegenschaften erhoben werden kann. Dieser Unterschied bezieht sich indessen bloss auf die Stellung der Minimalsteuer im kantonalen Steuersystem und vermag eine abweichende verfassungsrechtliche Beurteilung der streitigen Minimalsteuer selbst nicht zu rechtfertigen.
a) Die Minimalsteuer auf dem Grundeigentum juristischer Personen soll es vor allem ermöglichen, die sogenannten "nichtgewinnstrebigen Unternehmungen" (vor allem die MIGROS, Konsumgenossenschaften, aber auch Immobiliengesellschaften), deren Steuerfaktoren nach der gemeinhin geltenden Steuerordnung (Besteuerung des Reinertrags und des Eigenkapitals) in einem Missverhältnis zu ihrer tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stehen, angemessen zu besteuern. Der Liegenschaftsbesitz
BGE 96 I 64 S. 67
bildet hierfür innerhalb bestimmter Grenzen ein taugliches und sachgemässes Kriterium (vgl.
BGE 92 I 446
/47). IMBODEN hat die Zulässigkeit einer solchen Minimalsteuer auf dem Grundeigentum in seinem Aufsatz "Die Voraussetzungen einer verfassungsmässigen Minimalsteuer" (ASA 34 S. 195 und 199/200) ausdrücklich bejaht. Aus der bereits zitierten Abhandlung von IRENE BLUMENSTEIN vermag die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang nichts zu ihren Gunsten abzuleiten, da die Autorin im wesentlichen bloss die Minimalsteuer auf dem Umsatz kritisiert (über die Thurgauer Regelung vgl. a.a.O., S. 43/44).
b) Es mag sein, dass die soeben ausgeführte gesetzgebungspolitische Zweckbestimmung der Minimalsteuer juristischer Personen auf die Beschwerdeführerin nicht in typischer Weise zutrifft. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist zwar heute das allgemein anerkannte, jedoch nicht das einzige vor
Art. 4 BV
standhaltende Kriterium der Besteuerung. Verschiedene Kantone kennen Objektsteuern auf Liegenschaften (ohne Schuldenabzug) als zusätzliche Finanzquelle des Staates (BL, GE) oder der Gemeinden (BE, LU, SG, TI, VS; fakultativ d.h. auf Beschluss der Gemeinde: ZH, FR, BS, AI, GR, VD, NE). Die Steuersätze für diese Sondersteuern auf dem Liegenschaftswert liegen zwischen 0,2‰ und 2‰ (vgl. ARTHUR A. FREY, Die Steuerlast auf dem Grundbesitz, Diss. St. Gallen 1959, S. 74 ff.; Die Steuern der Schweiz, 1. Teil, Allgem. Übersichten, Stand 1969). Eine solche zusätzliche Belastung der Liegenschaften erscheint in diesem Rahmen mit Rücksicht auf die öffentlichen Ausgaben, welche direkt oder indirekt dem Grundeigentum zugute kommen, als sachlich begründet.
Verzichtet ein Kanton auf eine solche generelle zusätzliche Objektsteuer und wendet er diese Besteuerungsart bloss subsidiär auf juristische Personen an, sofern deren ordentliche Steuern auf dem Ertrag und dem steuerbaren Kapital weniger ergeben als eine als Objektsteuer veranlagte minimale Belastung des Grundeigentums, so verbleibt auch diese Regelung im Rahmen von
Art. 4 BV
. Dass diese Minimalsteuer ohne Verletzung des Gleichheitssatzes auf die ordentlichen Steuern angerechnet werden darf, lässt sich ohne weiteres damit begründen, dass die aus der Besteuerung des Grundeigentums ersichtliche finanzielle Leistungskraft mit der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, wie sie sich ordentlicherweise aus der
BGE 96 I 64 S. 68
Belastung mit der Ertrags- und Kapitalsteuer ergeben soll, weitgehend übereinstimmt. Es entspricht einer sachlich überzeugenden gesetzgeberischen Überlegung, dass vom Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, wie er der fiskalischen Belastung des Ertrags und des Kapitals zugrunde liegt, nur insofern abgewichen werden soll, als eine Mindestleistung des Grundeigentümers an das Gemeinwesen am Ort der gelegenen Sache mit den ordentlichen Steuern nicht erbracht wird.
c) Dass die angefochtene Minimalsteuer bloss von juristischen Personen erhoben wird, verletzt den Grundsatz der Rechtsgleichheit ebenfalls nicht (vgl.
BGE 92 I 445
E. 6 a). Die juristischen Personen werden in der Schweiz allgemein nach andern Grundsätzen als die natürlichen besteuert. Dazu kommt, dass die Gründe, welche den Gesetzgeber zur Einführung der Minimalsteuer bewogen haben, sozusagen ausschliesslich bei juristischen Personen zutreffen. Es kann demnach nicht gesagt werden, die angefochtene Regelung behandle Gleiches ungleich, wenn von der Erhebung einer analogen Minimalsteuer auf dem Grundeigentum natürlicher Personen abgesehen wird.
3.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die thurgauische Minimalsteuer auf dem Grundeigentum verstosse gegen das interkantonale Doppelbesteuerungsverbot. Das Bundesgericht hat sich schon wiederholt auch unter diesem Gesichtspunkt mit Minimalsteuern befasst, zuletzt in
BGE 94 I 37
ff., welches Urteil die Minimalsteuer des Kantons Basel-Stadt zum Gegenstand hatte. Dabei hat es erkannt, eine Verletzung von
Art. 46 Abs. 2 BV
liege nicht vor. Es besteht kein Grund, heute anders zu entscheiden.
a)
Art. 46 Abs. 2 BV
verpflichtet die Kantone nicht, im interkantonalen Verhältnis eine bestimmte Methode der Besteuerung anzuwenden, beispielsweise das Grundeigentum bloss im Rahmen der ordentlichen Ertrags- und Kapitalsteuern zu belasten (
BGE 48 I 362
). Wohl wird im Bereich der Reinvermögens- und Reineinkommenssteuer der proportionale Schuldenabzug im Verhältnis zu den der Steuerhoheit des einzelnen Kantons unterstehenden Aktiven verlangt (
BGE 79 I 345
,
BGE 74 I 460
; LOCHER, Interkantonale Doppelbesteuerung, § 9 I A 2 Nr. 1 ff., insbesondere Nr. 14/15). Den Kantonen steht es aber nach ständiger Rechtsprechung frei, den auf ihrem Gebiet gelegenen Grundbesitz mit einer reinen Objektsteuer
BGE 96 I 64 S. 69
(ohne Schuldenabzug) zu erfassen, sofern nur die im Kanton ansässigen Steuerpflichtigen im Verhältnis zu den ausserhalb des Kantons wohnenden Grundeigentümern nicht bevorzugt werden (
BGE 94 I 40
und dort zitierte Entscheidungen). Es vestösst nicht gegen das Doppelbesteuerungsverbot, wenn ein Steuerpflichtiger, dessen Grundbesitz in zwei Kantonen gelegen ist, im einen Kanton gestützt auf das dort herrschende System der Reinvermögenssteuer den proportionalen Schuldenabzug verlangen kann, während er im zweiten Kanton, der eine Objektsteuer erhebt, den vollen Wert (Steuerwert, Katasterwert oder Verkehrswert) ohne Schuldenabzug zu versteuern hat.
b) Im vorliegenden Fall treffen ebenfalls zwei Steuersysteme aufeinander: die Subjektsteuern auf Kapital und Ertrag einerseits, die Minimalsteuer als Objektsteuer andererseits. Gleich wie im Kanton Basel-Stadt (vgl.
BGE 94 I 37
ff.) wird die letztere im Kanton Thurgau nur subsidiär erhoben, d.h. nur dann, wenn die ordentlichen Steuern einer juristischen Person keinen dem Grundeigentum angemessenen minimalen Betrag ausmachen. Angesichts der Tatsache, dass das System der Objektsteuer auf Liegenschaften als Grundlage sowohl der fiskalischen Hauptbelastung als auch einer zusätzlichen Abgabe seit jeher für zulässig erklärt worden ist, besteht kein Grund, die bloss subsidiär im Sinne einer Objektsteuer erhobene thurgauische Minimalsteuer als verfassungswidrig zu erklären. Wie bereits in
BGE 94 I 40
ff. ausgeführt worden ist, greift eine solche Minimalsteuer nicht in die Steuerhoheit anderer Kantone ein. Der Kanton der gelegenen Sache macht lediglich subsidiär von einem Besteuerungsrecht Gebrauch, das unter dem Gesichtspunkt von
Art. 46 Abs. 2 BV
stets bestanden hat. Eine Abgabe, welche ein Kanton ohne Verletzung des interkantonalen Doppelbesteuerungsverbots auf dem gesamten Grundeigentum des Pflichtigen erheben dürfte, wird nicht dadurch verfassungswidrig, dass der Kanton auf eine generelle Objektsteuer verzichtet, dafür aber eine minimale Belastung dort vorsieht, wo die ordentlichen Steuern in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung des Grundbesitzes stehen würden. Damit bleibt der Kanton im Rahmen seiner Steuerhoheit; der Pflichtige wird nicht für das nämliche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit von zwei oder mehreren Kantonen zu Steuern herangezogen (
BGE 93 I 241
f.).
c) Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Erhebung einer Objektsteuer - auch im Sinne einer subsidiären Minimalsteuer - dazu führen kann, dass eine steuerpflichtige juristische Person gesamthaft höher belastet wird als in denjenigen Fällen, in denen sämtliche beteiligten Kantone bloss eine Ertrags- und Kapitalsteuer erheben. Das Bundesgericht hat indessen schon wiederholt entschieden, dass die allgemeine Regel, wonach die Aufteilung der Steuerpflicht unter mehrere Kantone für den Betroffenen nicht zu einer Mehrbelastung führen dürfe, zurückzutreten habe vor dem besonderen Grundsatz, wonach das Grundeigentum demjenigen Kanton zur ausschliesslichen Besteuerung vorbehalten ist, in dem es liegt (
BGE 94 I 41
und dort zitierte Entscheidungen). Die Mehrbelastung, welche sich aus der Erhebung einer Minimalsteuer auf dem Grundeigentum ergeben kann, ist demnach jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn sie - wie im Kanton Thurgau, wo der einheitliche Steuersatz 0,75‰ des Steuerwertes der Liegenschaft beträgt - nicht ernstlich ins Gewicht fällt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.