Federal court decision 118 II 365 from July 14, 1992

Date: July 14, 1992

Related articles:  Art. 8 ZGB, Art. 18 OR, Art. 114 BV , Art. 63 OG, Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 OG, Art. 18 Abs. 1 OR, Art. 64 Abs. 3 BV

Related court decisions:  119 II 449, 121 III 60, 121 III 118, 121 IV 185, 121 III 414, 122 III 176, 122 III 219, 123 III 129, 125 III 435, 126 II 171, 126 IV 209, 129 III 135, 131 III 360, 132 III 626, 133 III 61, 136 III 334, 144 V 84 , 117 II 278, 107 II 418, 114 II 290

Source: bger.ch

Urteilskopf

118 II 365


72. Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Juli 1992 i.S. D. AG gegen L. und Z. (Berufung)

Regeste

Überprüfung der subjektiven Vertragsauslegung im Berufungsverfahren.
Auch wenn der kantonale Richter den tatsächlichen Parteiwillen aufgrund von Indizien festgestellt hat, ist im Berufungsverfahren eine Überprüfung dieser Feststellung unter Vorbehalt der Ausnahmen von Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 OG ausgeschlossen (E. 1).

Sachverhalt ab Seite 365

BGE 118 II 365 S. 365
Aufgrund eines "Software-Lizenzvertrags" erhoben die beiden EDV-Fachleute L. und Z. gegen ihre Vertragspartnerin, die D. AG, beim Zürcher Handelsgericht u.a. Klage auf Zahlung von Lizenzgebühren, die das Handelsgericht mit Urteil vom 25. Oktober 1991 guthiess. Die Beklagte ficht dieses Urteil erfolglos mit eidgenössischer Berufung an.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Der Inhalt eines Vertrags bestimmt sich in erster Linie durch subjektive Auslegung, d.h. nach dem übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen ( Art. 18 Abs. 1 OR ). Nur wenn eine tatsächliche
BGE 118 II 365 S. 366
Willensübereinstimmung unbewiesen bleibt, sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten ( BGE 117 II 278 E. 5a). Während das Bundesgericht die objektivierte Vertragsauslegung nach dem Vertrauensprinzip als Rechtsfrage im Berufungsverfahren frei prüft ( BGE 117 II 278 f. E. 5a), beruht die subjektive Vertragsauslegung auf Beweiswürdigung, die vorbehältlich der Ausnahmen von Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 OG der bundesgerichtlichen Überprüfung im Berufungsverfahren auch dann entzogen ist, wenn der kantonale Richter den tatsächlichen Parteiwillen aufgrund von Indizien wie dem nachträglichen Parteiverfahren festgestellt hat ( BGE 107 II 418 E. 6).
Trotz der in einem Teil der Literatur geäusserten Kritik ist an dieser Beschränkung festzuhalten (KRAMER, N. 74 ff. zu Art. 18 OR mit weiteren Hinweisen; vgl. auch POUDRET, COJ N. 4.4.4 zu Art. 63 OG ). Sie ergibt sich schon aus der verfassungsmässigen Ordnung, nach der die Berufung allein die Sicherstellung der einheitlichen Anwendung des formellen und materiellen Bundesprivatrechts bezwecken kann ( Art. 114 BV ) und nicht in die kantonale Prozesshoheit ( Art. 64 Abs. 3 BV ) eingreifen darf. Für erhebliche Tatsachenbehauptungen gibt das Bundesrecht zwar einen Anspruch auf Zulassung zum Beweis ( BGE 114 II 290 f. E. 2a), im übrigen sind jedoch sowohl die Abnahme wie die Würdigung von Beweisen (KUMMER, N. 10 und N. 111 zu Art. 8 ZGB ) ausschliesslich vom kantonalen Prozessrecht beherrscht, das nicht Gegenstand der Berufung sein kann (Art. 55 Abs. 1 lit. c a. E. OG). Dass der Richter beim Indizienbeweis aufgrund von Erfahrungssätzen aus dem Indiz auf die rechtlich zu beurteilende Tatsache schliesst (KUMMER, N. 93 zu Art. 8 ZGB ), kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn hätte bereits das Abstellen auf Erfahrungssätze zur Folge, dass die Beweiswürdigung auf Berufung hin zu überprüfen wäre, könnte jede Beweiswürdigung mit diesem Rechtsmittel angefochten werden, beruht doch Beweiswürdigung stets auch auf richterlicher Lebenserfahrung. Entsprechend der verfassungsmässigen Ordnung hat die Überprüfung von Erfahrungssätzen im Berufungsverfahren daher auf Sätze der allgemeinen Lebenserfahrung beschränkt zu bleiben, die sich generell abstrakten Rechtsnormen nähern, weil sie dem Richter über den konkreten Einzelfall hinaus als allgemeingültiger Massstab für die Beurteilung von Tatsachen dienen ( BGE 69 II 204 ff. E. 5; POUDRET, COJ N. 4.2.4
BGE 118 II 365 S. 367
zu Art. 63 OG mit weiteren Hinweisen). Dazu gehören die Erfahrungssätze, die der Richter bei der Ermittlung des tatsächlichen Parteiwillens im Rahmen der subjektiven Vertragsauslegung heranzieht, indessen nicht (POUDRET, COJ N. 4.4.4 zu Art. 63 OG ).

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