Urteilskopf
112 IV 16
6. Urteil des Kassationshofes vom 13. März 1986 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen St. und G. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 139 Ziff. 3 StGB
.
Raub unter Drohung mit scharf geladener Schusswaffe.
Eine konkrete Lebensgefahr für das Opfer ist auch dann zu bejahen, wenn ein Trommelrevolver so geladen ist, dass der Abzugshebel bis zur Schussabgabe mehrmals betätigt werden muss.
A.-
St. und G. verübten am 31. Mai 1984 einen Raubüberfall auf die Migrol-Tankstelle in Reinach, bei dem sie einen mit zwei Patronen geladenen Trommelrevolver "Arminius", Kal. 22 L.R., verwendeten. Während St. den Tankwart mit vorgehaltenem Revolver, den Zeigefinger am Abzug, in die hintere Ecke seines Dienstraums drängte und ihn dort in Schach hielt, behändigte G. aus dem Serviceportemonnaie und der Schreibtischschublade insgesamt Fr. 2'446.10. Als es ihnen nicht gelang, auch dem Tresor Geld zu entnehmen, ergriffen sie die Flucht.
B.-
Mit Urteil vom 18. Oktober 1984 fand das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft St. und G. schuldig des Raubes im Sinne von
Art. 139 Ziff. 1bis StGB
(Mitführen einer Schusswaffe); gestützt darauf und wegen weiterer Delikte (Widerhandlung gegen das Gewässerschutzgesetz und Konsum von Haschisch) bestrafte es St. mit 2 1/2 Jahren Gefängnis unter Aufschub der Strafe und Einweisung in eine Heilanstalt für Suchtmittelkranke (Art. 44 Ziff. 1 und 6;
Art. 43 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
) und G. mit 18 Monaten Gefängnis bedingt bei einer Probezeit von 2 Jahren.
Auf Appellation der Staatsanwaltschaft sowie Anschlussappellation des Verurteilten St. bestätigte das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft am 17. Dezember 1985 das erstinstanzliche Urteil im Schuld-, Straf- und Massnahmepunkt.
C.-
Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt die Staatsanwaltschaft, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur Verurteilung der Beschwerdegegner nach
Art. 139 Ziff. 3 StGB
(Lebensgefahr des Opfers) an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Beide Beschwerdegegner liessen sich mit dem Antrag vernehmen, auf die Nichtigkeitsbeschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Die Staatsanwaltschaft macht geltend, der zu beurteilende Raubüberfall, bei dem ein scharf geladener Trommelrevolver auf kurze Distanz auf das Opfer gerichtet wurde, erfülle nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung den Tatbestand von
Art. 139 Ziff. 3 StGB
. Beide Vorinstanzen verneinten dies im wesentlichen mit der Begründung, die beiden Patronen seien von den Tätern bewusst auf der unteren Seite der Trommel plaziert worden, so dass die Auslösung eines Schusses vier Druckbewegungen benötigt hätte und nicht - wie bei einer gesicherten und nicht durchgeladenen Pistole - nur zwei Manipulationen; unter diesen Umständen habe keine unmittelbare Lebensgefahr für das Opfer bestanden.
b) Beide Beschwerdegegner verlangen in ihrem Hauptantrag, auf die Nichtigkeitsbeschwerde sei nicht einzutreten, weil die Staatsanwaltschaft in unzulässiger Weise die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz rüge (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
); dafür hätte ihr allenfalls die staatsrechtliche Beschwerde zur Verfügung gestanden. Diesen Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Die Beschwerdeführerin hat den für die Beurteilung wesentlichen Sachverhalt in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen dargelegt. Ob dieser Sachverhalt Ziff. 3 oder Ziff. 1bis von
Art. 139 StGB
erfüllt, ist eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht zu überprüfen ist.
2.
a) Mit
BGE 109 IV 106
legte das Bundesgericht den neu formulierten qualifizierten Raubtatbestand im Sinne von
Art. 139 Ziff. 3 StGB
gemäss der bisherigen Rechtsprechung zum früheren
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
aus. Diese Praxis wurde in der Folge mehrmals in nicht veröffentlichten Entscheiden und am 19. November 1985 (
BGE 111 IV 127
) bestätigt. In einem neuesten Entscheid präzisierte das Bundesgericht, dass auch die unmittelbare Bedrohung eines Opfers mit einer gesicherten und nicht durchgeladenen Pistole (vgl.
BGE 107 IV 110
) eine konkrete Lebensgefahr schafft, weil eine Pistole in der Regel erfahrungsgemäss innert Sekundenschnelle und ohne Mühe entsichert und durchgeladen bzw. schussbereit gemacht werden kann (
BGE 112 IV 14
).
b) Zur Diskussion steht im vorliegenden Fall lediglich die Frage, ob zwischen dem vierfachen Abdrücken des Abzugshebels eines Trommelrevolvers und dem Entsichern und Durchladen einer Pistole hinsichtlich der konkreten Gefährdung ein wesentlicher Unterschied bestehe. Dies ist zu verneinen. Die erste Instanz hatte in diesem Zusammenhang ausgeführt, bei einem "voll (oder unkontrolliert teilweise) geladenen Revolver" hätte - im Unterschied zum vorliegend "bewusst nur selektiv geladenen Revolver" - nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ohne weiteres
Art. 139 Ziff. 3 StGB
angewendet werden müssen, um so mehr als die Sicherung eines geladenen Revolvers nicht möglich ist; der beim vorliegenden, selektiv geladenen Trommelrevolver benötigte grössere Zeitaufwand gebe indessen Grund zur Annahme, dass die in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erwähnte "plötzliche Fehlreaktion" ausgeschlossen werden könne. Auch das Obergericht betonte, bei den vier benötigten, von einem Willensentschluss getragenen Druckbewegungen könne die Gefahr der Schussauslösung durch eine unkontrollierte Fehlreaktion als ausgeschlossen gelten. Dem ist entgegenzuhalten, dass es nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht in erster Linie darauf ankommt, ob es bei einem Raubüberfall mit geladener Schusswaffe auch zu einer plötzlichen Fehlreaktion kommen könne. Entscheidend für die Beurteilung der konkreten Lebensgefahr ist vielmehr, ob die geladene Schusswaffe objektiv innert kürzester Zeit schussbereit gemacht werden kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob die allenfalls nachfolgende Schussabgabe auf einem "Willensentschluss" oder einer "Fehlreaktion" beruhe.
c) Wie das Bundesgericht ausführte, kann eine gesicherte und nicht durchgeladene Pistole innert Sekundenschnelle schussbereit gemacht werden. Das gleiche gilt für einen "voll funktionstüchtigen" und ganz oder teilweise geladenen Trommelrevolver, der zudem nicht gesichert werden kann. Dass im vorliegenden Fall der Abzugshebel bis zur Schussauslösung viermal hätte betätigt werden müssen, ändert nichts, da diese Manipulation erfahrungsgemäss ebenfalls innert Sekundenschnelle hätte vorgenommen werden können. Demnach muss die konkrete Lebensgefahr für den überfallenen Tankwart bejaht und das Verhalten der Beschwerdegegner unter
Art. 139 Ziff. 3 StGB
subsumiert werden.
d) In Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde ist demzufolge das Urteil des Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft vom
BGE 112 IV 16 S. 19
17. Dezember 1985 aufzuheben, und die Sache ist zur Verurteilung der Beschwerdegegner nach
Art. 139 Ziff. 3 StGB
an die Vorinstanz zurückzuweisen.