Urteilskopf
117 IV 112
24. Urteil des Kassationshofes vom 23. April 1991 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
1.
Art. 63 StGB
; Strafzumessung (E. 1, E. 2).
a) Tat- und Täterkomponenten, die bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind.
b) Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts.
c) Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung.
d) Fall einer ungenügenden Begründung.
2.
Art. 41,
Art. 55 StGB
; Landesverweisung, bedingter Vollzug.
a) Der Umstand, dass ein mit einer Schweizerin verheirateter Ausländer Straftaten verübte, genügt für sich allein nicht, seine Assimilierung in der Schweiz zu verneinen (E. 3a).
b) Der bedingte Vollzug der Landesverweisung kann nicht mit dem Hinweis auf die Möglichkeit des probeweisen Aufschubs der Nebenstrafe bei der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug gemäss
Art. 55 Abs. 2 StGB
verweigert werden (E. 3b).
c) Anforderung an die Begründung der Landesverweisung und der Verweigerung des bedingten Vollzugs (E. 3a und b).
Die Kriminalkammer des Kantons Thurgau sprach K. am 9. Februar 1990 unter anderem wegen gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls in 40 Fällen mit einem Gesamtdeliktsbetrag von rund Fr. 530'000.-- sowie der gewerbsmässigen Hehlerei schuldig und bestrafte ihn mit acht Jahren Zuchthaus, einer Busse von Fr. 1'000.-- und fünf Jahren Landesverweisung.
K. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid der Kriminalkammer sei wegen Verletzung der
Art. 63, 55 und 41 StGB
aufzuheben und die Sache sei mit dem Hinweis darauf an die Vorinstanz zurückzuweisen, "in welchem Rahmen die Strafzumessung zu erfolgen habe".
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Richter misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen (
Art. 63 StGB
). Was im einzelnen über das Mass des Verschuldens entscheidet, welche Momente und wie sie in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sind, lässt sich kaum in allgemeiner Weise umschreiben (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht AT II, Bern 1989,
§ 7 N 7
ff.). Fest steht aufgrund der Auseinandersetzung STRATENWERTHS mit der bisherigen Literatur und Judikatur, dass sich der Begriff des Verschuldens auf den gesamten Unrechts- und Schuldgehalt der konkreten Straftat beziehen muss (N 14) und dass bei der Tatkomponente insbesondere folgende Faktoren zu beachten sind: Das Ausmass des verschuldeten Erfolges (N 18 ff.), die Art
BGE 117 IV 112 S. 114
und Weise der Herbeiführung dieses Erfolges (N 20 ff.), die Willensrichtung, mit der der Täter gehandelt hat (N 24 ff.), und die Beweggründe des Schuldigen, die
Art. 63 StGB
ausdrücklich erwähnt (N 27 ff.). Die Täterkomponente umfasst das Vorleben (N 32 ff.), die persönlichen Verhältnisse (N 45 ff.) sowie das Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren, wie z.B. Reue, Einsicht und Strafempfindlichkeit (N 48 ff.). Das Mass des Verschuldens variiert u.a. mit der Schwere des deliktischen Erfolgs, den unterschiedlich gravierenden Modalitäten der Tatbegehung und dem Mass an Entscheidungsfreiheit, das dem Täter zugeschrieben werden muss: Je leichter es für ihn gewesen wäre, die Norm zu respektieren, desto schwerer wiegt die Entscheidung gegen sie (STRATENWERTH, a.a.O., N 57;
BGE 116 IV 289
E. 2a, 296 E. 2b;
BGE 117 IV 8
E. 3a/aa).
Daraus folgt, dass dem Sachrichter einerseits vorgeschrieben ist, welches die rechtlich massgeblichen Gesichtspunkte bei der Zumessung der Strafe sind, die er zu berücksichtigen hat. Andererseits steht ihm - innerhalb des ordentlichen oder gegebenenfalls ausserordentlichen Strafrahmens (vgl. REHBERG, Strafrecht II, 5. Aufl., S. 41 ff.) - bei der Gewichtung der einzelnen zu beachtenden Komponenten von der Natur der Sache her ein erheblicher Spielraum des Ermessens zu. Der Kassationshof des Bundesgerichts kann daher auf Nichtigkeitsbeschwerde hin, mit der ausschliesslich eine Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werden kann (
Art. 269 BStP
), in die Strafzumessung nur eingreifen, wenn der Richter den gesetzlich vorgeschriebenen Strafrahmen über- oder unterschritt, wenn er von rechtlich nicht massgebenden Gesichtspunkten ausging oder solche unbeachtet liess, obwohl er sie hätte beachten sollen, oder wenn er solche Gesichtspunkte in Überschreitung oder Missbrauch seines Ermessens unrichtig gewichtete (
BGE 116 IV 6
E. 2b, 290 E. 2b, 285 E. 2a).
Damit das Bundesgericht überprüfen kann, ob die verhängte Strafe im Einklang mit den Zumessungsregeln des Bundesrechts steht und ob der Sachrichter sein Ermessen überschritten hat oder nicht, müssen alle wesentlichen Strafzumessungskriterien in der schriftlichen Urteilsbegründung Erwähnung finden. Die Begründung der Strafzumessung muss in der Regel den zur Anwendung gelangenden Strafrahmen nennen und die oben beschriebenen Tat- und Täterkomponenten so erörtern, dass festgestellt werden kann, ob alle rechtlich massgeblichen Gesichtspunkte Berücksichtigung fanden und wie sie gewichtet wurden, d.h. ob und in
BGE 117 IV 112 S. 115
welchem Grade sie strafmindernd oder straferhöhend in die Waagschale fielen. Dabei müssen die einzelnen Strafzumessungsfaktoren nicht in allen Einzelheiten ausgebreitet werden und über Umstände ohne oder von ausgesprochen untergeordneter Bedeutung darf auch mit Stillschweigen hinweggegangen werden. Nur um eine Begründung der Strafzumessung, die man sich anders oder eingehender wünschte, zu verbessern, kann eine Nichtigkeitsbeschwerde nicht gutgeheissen und der angefochtene Entscheid aufgehoben werden. Dies muss in Anwendung von
Art. 277 BStP
indessen erfolgen, wenn wegen Fehlens einer Erörterung der erwähnten wesentlichen Elemente der bei der Strafzumessung anzustellenden Erwägungen die richtige Anwendung des Bundesrechts, einschliesslich Ermessensüberschreitung oder -missbrauch, nicht nachgeprüft werden kann. Je höher die Strafe ist, desto höhere Anforderungen sind im übrigen an die Darlegung der Gründe, die die Strafe rechtfertigen, zu stellen (
BGE 116 IV 291
E. 2c).
2.
a) Die Vorinstanz stellte bei der Strafzumessung fest, wegen der Anwendbarkeit von
Art. 68 StGB
(Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen) reiche der Strafrahmen von sechs Monaten Gefängnis bis zu fünfzehn Jahren Zuchthaus. Das Verschulden des Beschwerdeführers wiege schwer; während über eines halben Jahres sei er mit Mittätern "international gesuchter Berufseinbrecherprovenienz" wöchentlich ein- oder mehrmals unterwegs gewesen, um Einbruchdiebstähle mit teils in die Zehntausende von Franken gehenden Deliktssummen zu verüben; diese intensive strafbare Tätigkeit wirke sich insbesondere auch deshalb straferhöhend aus, "weil die Deliktsphase wohl nur aufgrund der Verhaftung schliesslich ein Ende genommen" habe; strafmindernd sei das Geständnis zu berücksichtigen; "unter Berücksichtigung aller Umstände" erscheine eine Freiheitsstrafe von acht Jahren Zuchthaus als angemessen. Ergänzend schilderte die Vorinstanz kurz den Lebenslauf des Beschwerdeführers, ohne jedoch diesbezüglich eine Wertung vorzunehmen.
b) Das angefochtene Urteil genügt in verschiedener Hinsicht den oben in E. 1 erwähnten Begründungsanforderungen nicht.
aa) Über Vorleben und persönliche Verhältnisse des Beschwerdeführers erfährt man aus dem Urteil nur wenig. Es werden die wesentlichen Daten und Fakten wiedergegeben, ohne aber eine Charakterisierung der Täterpersönlichkeit auch nur ansatzweise vorzunehmen. Die Hinweise darauf, der Beschwerdeführer sei in
BGE 117 IV 112 S. 116
der Schweiz seit 1981 an verschiedenen Arbeitsstellen - z.B. im Service - tätig gewesen, habe später kein Arbeitsverhältnis mehr unterhalten und sei in Schulden geraten, und er sei mit Mittätern international gesuchter Berufseinbrecherprovenienz unterwegs gewesen, um Einbruchdiebstähle zu verüben, erlauben nicht festzustellen, ob die Vorinstanz auch den Beschwerdeführer selber als Berufsverbrecher betrachtete, oder ob sie davon ausging, er habe nur mit (welchen?) "international gesuchten" Berufsverbrechern zusammengearbeitet. Es wird auch nichts darüber ausgeführt, in welcher Art und Weise diese Zusammenarbeit erfolgt sein soll. Schliesslich ist nicht klar, ob die Vorinstanz annahm, bei den verschiedenen Einbruchdiebstählen hätten noch weitere Mittäter, bei denen es sich um international gesuchte Berufseinbrecher handle, mitgewirkt, die aber nicht hätten gefasst werden können.
bb) Die Art und Weise der Begehung der Taten ergibt sich genügend deutlich aus der dem Urteil angehefteten Anklageschrift. Ebenso bedurfte die Willensrichtung keiner weiteren Erörterungen, da für die Haupttaten jedenfalls offensichtlich Vorsatz vorliegt. Über den Erfolg und die Beweggründe lässt das vorinstanzliche Urteil hingegen die notwendigen Darlegungen vermissen. Auch hier ergibt sich aus den Angaben über die berufliche Tätigkeit und die Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers und den Hinweisen auf Berufsverbrechertum bzw. einen Zusammenhang der Taten damit nicht klar, ob gesagt werden will, der Beschwerdeführer sei keiner Arbeit nachgegangen, hätte auch keine anderen Einkünfte (Arbeitslosengelder?) gehabt und so die Verübung von Einbruchdiebstählen zu seinem Beruf und zu seiner Haupteinnahmequelle gemacht. Nachdem von Berufsdelinquenz die Rede ist, ist eher anzunehmen, die Vorinstanz habe diese Frage bejaht (demgegenüber wurde aber bei der Erörterung der Frage der Gewerbsmässigkeit im Falle des Mittäters T. sinngemäss offengelassen, ob dieser mit den Straftaten den hauptsächlichen oder auch nur einen regelmässigen Erwerb erzielt habe). Wenn der schwere Vorwurf des Berufsverbrechertums erhoben werden wollte, hätte er ausdrücklich bejaht und begründet werden müssen. Die Behauptung der Vorinstanz, der Entscheid ergehe "unter Berücksichtigung aller Umstände" und "bereits die Staatsanwaltschaft (habe) allen genannten Kriterien bei der Formulierung ihres Antrags Rechnung getragen" - wobei sich weder aus der Anklageschrift noch aus dem Urteil ergibt, wie die Staatsanwaltschaft ihre Anträge begründete -, genügt den bundesrechtlichen
BGE 117 IV 112 S. 117
Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung offensichtlich nicht.
cc) Zu diesem Schluss muss man auch gesamthaft betrachtet umsomehr gelangen, als es sich bei der ausgefällten Strafe um eine für Vermögensdelikte ausgesprochen hohe Freiheitsstrafe handelt.
Da das angefochtene Urteil in bezug auf die verhängte Freiheitsstrafe nach dem Gesagten gemäss
Art. 277 BStP
aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung zurückzuweisen ist, kann nicht abschliessend geprüft werden, inwieweit die Kriminalkammer ihr Ermessen überschritt. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass eine Strafe von acht Jahren Zuchthaus für die in Frage stehende Serie von Einbruchdiebstählen aus dem sonst üblichen Rahmen fällt. Sie wird in jedem Falle und insbesondere dann, wenn keine ausserordentlichen Straferhöhungsgründe, wie international organisierte Berufsdelinquenz, in überzeugender Weise bejaht werden können, erheblich herabzusetzen sein. Der Kassationshof hat auch im Gebiete der Strafzumessung für eine einheitliche Anwendung des Bundesrechts zu sorgen, und er muss daher festhalten, dass die durch die Kriminalkammer des Kantons Thurgau ausgesprochene Strafe eindeutig zu hoch ausgefallen ist.
3.
Der Beschwerdeführer wendet weiter ein, die Vorinstanz habe
Art. 55 StGB
verletzt, indem sie ihn für fünf Jahre des Landes verwiesen habe; zu Unrecht gehe sie trotz seiner Verheiratung mit einer Schweizerin davon aus, er sei in der Schweiz schon deshalb nicht assimiliert, weil er Straftaten verübt habe. Der angefochtene Entscheid verstosse auch gegen
Art. 41 StGB
; der bedingte Vollzug der Landesverweisung hätte ihm nicht verweigert werden dürfen, da er das erste Mal einerseits zu einer solchen Nebenstrafe und andererseits zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei.
a) Die Anordnung einer Landesverweisung gemäss
Art. 55 StGB
stellt jedenfalls für einen Täter, der engere Beziehungen zur Schweiz hat, insbesondere wenn er längere Zeit in der Schweiz lebte und arbeitete sowie mit einer Schweizerin verheiratet ist, einen schweren Eingriff in seine Rechtsstellung dar. Analog den Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung (oben E. 1 Abs. 3) müssen auch bei einer Landesverweisung die Gründe für deren Anordnung im Urteil so wiedergegeben werden, dass die richtige Anwendung des Bundesrechts nachgeprüft werden kann.
Die Vorinstanz führt zur Landesverweisung lediglich an, mit Rücksicht auf die vorliegend zu beurteilenden schwerwiegenden Vorfälle sei zu bezweifeln, ob der Beschwerdeführer, der mit einer Schweizerin verheiratet sei, sich hier assimiliert habe; die Heirat mit einer Schweizerin hindere abgesehen davon die Landesverweisung nicht; von einer Landesverweisung könne zur Zeit daher nicht abgesehen werden, auch wenn sie der erwähnten Bindung wegen immerhin in ihrer Dauer reduziert werden könne.
Diese Urteilsbegründung genügt den Anforderungen nicht. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer Straftaten beging, bildet jedenfalls für sich allein keinen Grund, eine Assimilierung zu verneinen, denn wie in der Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht vorgebracht wird, werden auch Schweizer straffällig. Die Vorinstanz wird das Verschulden des Beschwerdeführers, unter Berücksichtigung der Beweggründe, des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse, auch deshalb näher darzulegen haben, damit die Berechtigung der Landesverweisung beurteilt werden kann; dabei wird sie auch den beiden Zielsetzungen der Landesverweisung, die sowohl einem Straf- als auch einem Sicherungszweck dient (
BGE 114 Ib 3
E. 3a mit Hinweis), Rechnung zu tragen und sich konkret zum beim Beschwerdeführer bestehenden Straf- und Sicherungsbedürfnis zu äussern haben.
b) Das gleiche gilt in bezug auf die Frage des bedingten Vollzuges der Landesverweisung. Gemäss
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
kann der Richter den Vollzug der Nebenstrafe der Landesverweisung aufschieben, wenn Vorleben und Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde dadurch von weiteren Verbrechen oder Vergehen abgehalten. Der Sachrichter kann die Prüfung dieser Frage nicht umgehen, indem er - wie die Vorinstanz - auf die Möglichkeit des probeweisen Aufschubs der Landesverweisung bei der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug nach
Art. 55 Abs. 2 StGB
verweist. Dies nicht nur, weil nicht im voraus feststeht, ob es überhaupt zu einer bedingten Entlassung des Beschwerdeführers kommt, sondern vor allem weil das Gesetz für beide Arten des Aufschubs des Vollzuges der Landesverweisung verschiedene Voraussetzungen aufstellt (vgl. dazu
BGE 104 IV 226
sowie
BGE 104 Ib 154
und 331 E. 2;
BGE 117 IV 4
E. 2b und 2c).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der Kriminalkammer des Kantons Thurgau vom 9. Februar 1990 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.