Urteilskopf
147 IV 108
11. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_780/2019 vom 17. August 2020
Regeste
Art. 34 Abs. 3 StPO
; nachträgliche Gesamtstrafenbildung.
Art. 34 Abs. 3 StPO
stellt sicher, dass die materiell-rechtlichen Vorschriften der Gesamtstrafenbildung von der verurteilten Person wirksam durchgesetzt werden können (E. 2.2.1).
Das Verfahren gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
ist ein Verfahren "sui generis", auf das die Vorschriften über "Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Entscheiden des Gerichts" gemäss
Art. 363 ff. StPO
(sinngemäss) Anwendung finden, soweit
Art. 34 Abs. 3 StPO
keine abweichende Regelung enthält (E. 2.2.2).
Art. 34 Abs. 3 StPO
regelt nicht, wie die Gesamtstrafe zu bilden ist; dies ergibt sich ausschliesslich aus der jeweiligen materiell-rechtlichen Norm (
Art. 46 Abs. 1 Satz 2,
Art. 49,
Art. 62a Abs. 2 und
Art. 89 Abs. 6 StGB
) (E. 2.2.3).
Gegenstand des Nachverfahrens gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
ist ausschliesslich, die unterlassene Gesamtstrafenbildung durch Asperation der rechtskräftigen Strafen nachzuholen. Das Nachgericht hat weder die Rechtmässigkeit der früheren Verurteilungen noch die Angemessenheit der ausgesprochenen Strafen zu prüfen (E. 2.2.4 und 2.2.5).
Die Vollzugsform (bedingt, teil- oder unbedingt) spielt für die Beurteilung der Gleichartigkeit der ausgesprochenen Strafen keine Rolle (E. 3.1-3.4).
Die richterliche Fürsorgepflicht kann erfordern, die beschuldigte Person auf eine mögliche oder gesetzlich zwingende Änderung der Vollzugsform infolge der nachträglichen Gesamtstrafenbildung hinzuweisen und ihr die Möglichkeit einzuräumen, den gestellten Antrag zurückzuziehen (E. 3.6).
A.
Die Strafverfolgungsbehörden der Kantone Zürich und Aargau führten (teilweise) zur gleichen Zeit je eine Strafuntersuchung gegen A. (und andere Personen). Das von der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gestellte Gesuch, die Strafbehörden des Kantons Aargau zu verpflichten, sämtliche A. (und weiteren Personen) zur Last gelegten Straftaten gemeinsam zu verfolgen, wies die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts mit Beschluss vom 20. März 2012 ab und ordnete die (getrennte) Verfolgung und Beurteilung durch die Kantone für die bei ihnen hängigen Strafverfahren an.
BGE 147 IV 108 S. 110
B.
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte A. am 9. März 2017 für im Zeitraum von Mai 2008 bis Juli 2009 begangener Handlungen wegen falscher Anschuldigung, gewerbsmässigen Betrugs, mehrfacher, teilweise versuchter Veruntreuung, Urkundenfälschung, Geldwäscherei, Sachbeschädigung und Anstiftung zum mehrfachen Erschleichen eines Ausweises zu einer Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren unter Anrechnung der ausgestandenen Haft und des vorzeitigen Strafvollzugs. Der Mitbeschuldigte B. erhob gegen das Urteil Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht.
Am 13. Dezember 2017 verurteilte das Obergericht des Kantons Aargau A. für Handlungen zwischen Juni und September 2011 wegen einfacher Körperverletzung und mehrfacher, teilweise versuchter Nötigung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 3 Jahren, unter Aufschub eines Strafteils von 24 Monaten, bei einer Probezeit von 2 Jahren. Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft.
C.
A. stellte mit Eingabe vom 27. März 2018 beim Obergericht des Kantons Zürich ein Gesuch um (nachträgliche) Gesamtstrafenbildung gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
. Das Obergericht sistierte das Verfahren mit Beschluss vom 14. Mai 2018 bis zum Abschluss des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens des Mittäters B.
Nach teilweiser Gutheissung der Beschwerde von B. und Rückweisung der Sache zu neuer Entscheidung stellte das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil (und Beschluss) vom 2. Oktober 2018 fest, dass das (erste) Berufungsurteil vom 9. März 2017 in Bezug auf A. in Rechtskraft erwachsen ist und beurteilte die Sache betreffend B. erneut. Dieses Urteil erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Am 9. Mai 2019 wies das Obergericht des Kantons Zürich das Gesuch von A. um nachträgliche Gesamtstrafenbildung ab und auferlegte ihm die Verfahrenskosten.
D.
A. führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 9. Mai 2019 sei aufzuheben und es sei eine Zusatzstrafe von 3 Jahren Freiheitsstrafe zum Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 13. Dezember 2017 auszufällen. Die im zürcherischen Verfahren erstandene Haft und der vorzeitige Strafvollzug seien an die Zusatzstrafe anzurechnen. Eventualiter seien die obergerichtlichen Urteile vom 9. März 2017 und vom 13. Dezember 2017 aufzuheben und es sei eine Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren auszufällen, auf die der bisherige Freiheitsentzug aus beiden Verfahren anzurechnen sei. Subeventualiter sei
BGE 147 IV 108 S. 111
die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. A. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf Stellungnahmen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
1.1
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 34 Abs. 3 und
Art. 391 Abs. 2 StPO
sowie von
Art. 49 StGB
. Er sei mit Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 13. Dezember 2017 und demjenigen der Vorinstanz vom 9. März 2017 bzw. 2. Oktober 2018 jeweils zu (mehrjährigen) Freiheitsstrafen, mithin gleichartigen Strafen im Sinn von
Art. 49 StGB
und
Art. 34 Abs. 3 StPO
verurteilt worden. Dass vorliegend eine teilbedingte und eine unbedingte Freiheitsstrafe ausgesprochen wurden, sei unerheblich, da es sich insoweit lediglich um unterschiedliche Vollzugsformen der gleichen Strafart handle und die Vorinstanz nicht von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung habe absehen dürfen.
Soweit die Vorinstanz (in ihrer Hilfserwägung) eine nachträgliche Gesamtstrafe bilde, gehe sie methodisch falsch vor und argumentiere widersprüchlich. Entgegen ihren (abstrakten) Rechtsausführungen, wonach im Verfahren nach
Art. 34 Abs. 3 StPO
keine erneute, vollständige Strafzumessung vorzunehmen sei, gewichte die Vorinstanz sämtliche (von ihr im eigenen Urteil) bereits beurteilten Strafen neu, um so auf eine (hypothetische) Gesamtstrafe von 9 Jahren zu kommen und zu behaupten, selbst unter Berücksichtigung des Asperationsprinzips würde eine hypothetische Gesamtstrafe höher ausfallen als eine Kumulation der beiden Freiheitsstrafen der Ausgangsurteile. Die Vorinstanz hätte im Rahmen der nachzuholenden Gesamtstrafenbildung die von ihr ausgesprochene Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren um die 3-jährige Freiheitsstrafe des Obergerichts des Kantons Aargau angemessen erhöhen müssen. Da es sich hierbei bereits um eine Gesamtstrafe handle, sei lediglich die dort ausgesprochene Einsatzstrafe von 2 ½ Jahren zu asperieren und anzupassen, jedoch nicht die "Zusatzstrafen" für die weiteren Delikte. Auf die so auszusprechende Zusatz- oder Gesamtstrafe sei die in beiden Verfahren erstandene Haft anzurechnen. Gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
bestehe ein Anspruch auf Gesamtstrafenbildung. Ob
BGE 147 IV 108 S. 112
hierbei in Anwendung von
Art. 49 Abs. 1 StGB
eine originäre oder nach Abs. 2 der Vorschrift eine hypothetische Gesamtstrafe zu bilden sei, sei umstritten, jedoch resultiere für den Beschwerdeführer in beiden Fällen (auch bei vollständig unbedingtem statt teilbedingtem Vollzug) eine geringere Reststrafe von 21 respektive 11 anstatt von 29 Monaten.
1.2.1
Die Vorinstanz erwägt sinngemäss, die gleichzeitige Beurteilung sämtlicher vom Beschwerdeführer begangenen Delikte sei aufgrund der Weigerung der Aargauer Strafverfolgungsbehörden gescheitert, die im Kanton Zürich hängigen Verfahren zu übernehmen, was in einem aufwendigen Gerichtsstandsverfahren von der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts geschützt worden sei. Dem Asperationsprinzip habe aufgrund pendenter (ordentlicher und ausserordentlicher) Rechtsmittelverfahren auch nicht durch eine Zusatzstrafe Rechnung getragen werden können, weshalb in formeller Hinsicht die Voraussetzungen von
Art. 34 Abs. 3 StPO
gegeben seien. Die Vorschrift enthalte keine Frist, innert der das Gesuch um nachträgliche Gesamtstrafenbildung gestellt werden müsse. Der in der Lehre teilweise vertretenen Ansicht, das Gesuch sei vor Antritt des Strafvollzugs zu stellen, könne nicht gefolgt werden.
Art. 34 Abs. 3 StPO
diene dazu, die Anwendung des Asperationsprinzips gemäss
Art. 49 StGB
auch dann sicherzustellen, wenn Strafbehörden dieses versäumt hätten. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz für den Fall, dass die verurteilte Person den vorzeitigen oder ordentlichen Strafvollzug angetreten habe, lasse sich weder dem Wortlaut noch systematischen oder teleologischen Überlegungen entnehmen.
Der Beschwerdeführer sei vorliegend zu einer unbedingten und einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Soweit ersichtlich, habe das Bundesgericht die Frage, ob Freiheitsstrafen bei unterschiedlicher Vollzugsform gleichartige Strafen seien, noch nicht behandelt. Es habe jedoch im Zusammenhang mit der Nichtbewährung einer bedingt entlassenen Person festgehalten, dass eine Gesamtstrafe nur gebildet werden könne, wenn sowohl hinsichtlich der neuen als auch der Reststrafe die Voraussetzungen des unbedingten Vollzugs gegeben seien. Träfen hingegen wie vorliegend eine teilbedingte und eine langjährige unbedingte Freiheitsstrafe zusammen, ergebe sich aus der ratio legis, dass die Strafen als ungleichartig betrachtet werden müssten und sich eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung verbiete. Das Nachgericht könne aufgrund der
BGE 147 IV 108 S. 113
rechtskräftigen Vorentscheide weder sein eigenes Ermessen an das des mit der Sache bereits befassten Gerichts setzen und eine derart tiefe Strafe ausfällen, die noch teilbedingt ausgesprochen werden könne, noch komme eine (Gesamt-)Freiheitsstrafe in Betracht, die einen teilbedingten Vollzug nicht mehr zulasse, und der verurteilten Person somit die Rechtswohltat des teilbedingten Vollzugs genommen würde. Einem derartigen Lösungsansatz stünde zudem das Verbot der "reformatio in peius" entgegen.
1.2.2
Hilfsweise erwägt die Vorinstanz, soweit trotz unterschiedlicher Vollzugsformen von gleichartigen Strafen auszugehen wäre, stelle
Art. 34 Abs. 3 StPO
eine Rechtsgrundlage dar, um auf rechtskräftige Urteile zurückzukommen, jedoch sei der Rechtskraft der Vorentscheide insoweit Rechnung zu tragen, als eine Korrektur in der Strafzumessung nur in dem Masse vorzunehmen sei, um die Umsetzung des Asperationsprinzips zu ermöglichen. Mithin gelte es einzig, die aufgrund getrennter Beurteilung erlittene Schlechterstellung aufzuheben, ohne jedoch eine neue, vollständige Strafzumessung vorzunehmen oder auch die verurteilte Person ungerechtfertigt zu bevorteilen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sei die nachträgliche Gesamtstrafe nicht durch Asperation der beiden rechtskräftigen Strafen vorzunehmen, sondern es sei zunächst der Strafrahmen für das schwerste Delikt zu bestimmen und für dieses eine Einsatzstrafe festzusetzen, die sodann unter Einbezug sämtlicher übriger Straftaten in Anwendung des Asperationsprinzips (angemessen) zu erhöhen sei. Die von ihr (der Vorinstanz) beurteilte falsche Anschuldigung stelle das abstrakt schwerste Delikt dar. Die Strafzumessungserwägungen im Urteil vom 9. März 2017 seien nach wie vor zutreffend, weshalb eine hypothetische Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren für die von ihr (der Vorinstanz) beurteilten Straftaten angemessen erscheine. Diese sei aufgrund der vom Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 13. Dezember 2017 beurteilten Delikte angemessen zu erhöhen. Das Obergericht des Kantons Aargau habe für die Körperverletzung eine Einsatzstrafe von 2 ½ Jahren Freiheitsstrafe festgesetzt, weshalb die (hypothetische) Gesamtfreiheitsstrafe (der Vorinstanz) von 8 Jahren in Anwendung des Asperationsprinzips um 1 ½ Jahre zu erhöhen sei. Zudem sei die mehrfache, teilweise versuchte Nötigung wie schon vom "Aargauer Obergericht" im Umfang von 6 Monaten straferhöhend zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung der übrigen Strafzumessungsfaktoren (Täterkomponenten, Verletzung des Beschleunigungsgebots)
BGE 147 IV 108 S. 114
resultiere eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren. Demnach sei die getrennte Beurteilung der Delikte für den Beschwerdeführer vorteilhafter und dessen Antrag auf nachträgliche Gesamtstrafenbildung abzuweisen.
2.1
Gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
setzt das Gericht, das die schwerste Strafe ausgesprochen hat, auf Gesuch der verurteilten Person eine Gesamtstrafe fest, sofern eine Person von verschiedenen Gerichten zu mehreren gleichartigen Strafen verurteilt worden ist.
2.2.1
Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
ist systematisch im Kapitel über die Gerichtsstände eingeordnet, in das der Gesetzgeber mit Einführung der StPO die zuvor im StGB geregelten Vorschriften über die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Strafbehörden (aArt. 339 ff. StGB) praktisch unverändert übernommen hat (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1142 Ziff. 2.2.3.2; NAY/THOMMEN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2007, N. 28 Vor
Art. 340 StGB
). Sinn und Zweck der zuvor im StGB geregelten prozessualen Vorschriften über die "Gerichtsstände" (respektive über die sachliche und örtliche Zuständigkeit) war es, einerseits das aufgrund kantonaler Regelungsbefugnis nicht oder nur unzureichend durchsetzbare prozessuale Vereinigungsprinzip des Strafverfahrens und andererseits eine einheitliche Anwendung der materiell-rechtlichen Strafzumessungsgrundsätze zu gewährleisten und somit der "als höchst unbillig empfundenen Häufung von Freiheitsstrafen, die von Gerichten verschiedener Kantone ausgesprochen wurden, ein Ende [zu] machen" (Botschaft vom 23. Juli 1918 zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, BBl 1918 IV 80, 82;
BGE 127 IV 135
E. 2e). Gelangt das Vereinigungsprinzip ausnahmsweise aus sachlichen (vgl.
Art. 30 StPO
) oder aus prozessualen Gründen (vgl.
Art. 34 Abs. 2 StPO
) nicht zur Anwendung, stellt
Art. 34 Abs. 3 StPO
sicher, dass die materiell-rechtlichen Vorschriften über die Gesamtstrafenbildung von der verurteilten Person auch dann wirksam durchgesetzt werden können, wenn die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung durch das (letzte) Sachgericht ausser Betracht geblieben ist oder diese (aus prozessualen Gründen) ausnahmsweise nicht gebildet werden konnte, beispielsweise weil die frühere Verurteilung noch nicht rechtskräftig war, der Verurteilte ein (aussichtsreiches) Revisionsgesuch gestellt hat oder die Vorstrafenakten nicht zur
BGE 147 IV 108 S. 115
Verfügung standen (vgl. MOSER/SCHLAPBACH, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 15 zu
Art. 34 StPO
; GALLIANI/MARCELLINI, in: Commentario, Codice svizzero di procedura penale [CPP], N. 9 zu
Art. 34 StPO
).
2.2.2
Das Verfahren nach
Art. 34 Abs. 3 StPO
ist kein Rechtsbehelf oder rechtsbehelfähnliches Institut, sondern ein Verfahren sui generis, auf das die Vorschriften über "Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Entscheiden des Gerichts" gemäss
Art. 363 ff. StPO
(sinngemäss) zur Anwendung gelangen, soweit
Art. 34 Abs. 3 StPO
keine abweichenden Regelungen enthält, denn es handelt sich um ein Verfahren, das nach Erlass mehrerer rechtskräftiger Entscheide erfolgt. In formeller Hinsicht ist ein Gesuch der verurteilten Person um nachträgliche Gesamtstrafenbildung erforderlich; diese kann nicht von Amtes wegen vorgenommen werden.
Art. 34 Abs. 3 StPO
sieht keine Frist für die Gesuchstellung vor, zu deren Behandlung das Gericht, das die konkret schwerste Strafe ausgesprochen hat, zuständig ist. Die abstrakte Strafandrohung ist - im Unterschied zur Zuständigkeit für die Verfolgung und Beurteilung mehrerer von derselben Person (vermeintlich) begangener Straftaten gemäss Abs. 1 der Vorschrift - nicht entscheidend (vgl. statt vieler: MOSER/SCHLAPBACH, a.a.O., N. 15 zu
Art. 34 StPO
mit Hinweisen).
2.2.3
Als verfahrensrechtliches Pendant zu den materiell-rechtlichen Vorschriften der Gesamstrafenbildung (
Art. 46 Abs. 1 Satz 2,
Art. 49,
Art. 62a Abs. 2 und
Art. 89 Abs. 6 StGB
) regelt
Art. 34 Abs. 3 StPO
nicht, unter welchen Voraussetzungen und wie die Gesamtstrafe zu bilden ist. Dies bestimmt sich - wie bereits zuvor auch bei aArt. 344 Abs. 2 respektive aArt. 350 Ziff. 2 StGB, die insoweit auf
Art. 49 StGB
respektive aArt. 68 StGB verwiesen haben - ausschliesslich nach der jeweiligen materiell-rechtlichen Norm, die von den Sachgerichten nicht angewendet wurde, mit der Einschränkung, dass das Gericht im Verfahren nach
Art. 34 Abs. 3 StPO
eine Gesamtstrafe aus zwei bereits rechtskräftig festgesetzten Strafen (nach Aktenlage) bildet. War eine Gesamtstrafenbildung gemäss
Art. 46 Abs. 1 Satz 2,
Art. 49,
Art. 62a Abs. 2 und
Art. 89 Abs. 6 StGB
durch das letzte Sachgericht nicht möglich und ist demnach auch nicht unterblieben, kann sie nicht über
Art. 34 Abs. 3 StPO
auf prozessualem Weg nachgeholt werden (so im Ergebnis auch: Urteil 6B_837/2019 vom 6. Dezember 2019 E. 1.2; vgl. zu aArt. 344 Abs. 2 respektive aArt. 350 Ziff. 2 StGB:
BGE 129 IV 113
E. 1.1 und 1.3; Urteile 6B_944/2008 vom 22. April 2009 E. 2.2 f.; 6S.372/2001
BGE 147 IV 108 S. 116
vom 4. Juli 2001 E. 2a).
Art. 34 Abs. 3 StPO
kommt somit nur zur Anwendung, wenn im Zeitpunkt der letzten sachrichterlichen Entscheidung die materiell-rechtlichen Voraussetzungen zur Gesamt- oder Zusatzstrafenbildung vorlagen, hingegen nicht, wenn das Sachgericht - selbst rechtsfehlerhaft - bewusst von einer Gesamtstrafenbildung absieht. Den Sachgerichten ist es nicht erlaubt, unter Hinweis auf das Verfahren gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
von einer Gesamtstrafenbildung abzusehen, weshalb die bewusste Nichtanwendung der materiell-rechtlichen Normen der Gesamtstrafenbildung im ordentlichen Rechtsmittelverfahren anzufechten ist.
2.2.4
Gegenstand des Nachverfahrens gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
ist einzig, die unterlassene Gesamtstrafenbildung durch Asperation der rechtskräftigen Strafen nachzuholen. Das Gericht hat weder die Rechtmässigkeit der früheren Verurteilungen noch die Angemessenheit der ausgesprochenen Strafen zu prüfen, sondern ist im Nachverfahren sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht an die Urteilsfeststellungen gebunden. Eine Korrektur der tatrichterlichen Entscheidung ist aufgrund der Rechtskraft der Vorentscheidungen selbst bei offensichtlichen Fehlern in der Wahl und/oder Bemessung der Rechtsfolgen nicht möglich. Dies lässt sich auch nicht aus einem Umkehrschluss aus der zu
Art. 49 Abs. 2 StGB
entwickelten Rechtsprechung ableiten. Dass mit
Art. 34 Abs. 3 StPO
- wie mit
Art. 46 Abs. 1 Satz 2 und
Art. 89 Abs. 6 Satz 1 StGB
auch - eine gesetzliche Grundlage besteht, die Rechtskraft der Urteile zu durchbrechen, ist eine notwendige prozessuale Voraussetzung, um dem Asperationsprinzip nachträglich zur Anwendung zu verhelfen, erlaubt jedoch kein (inhaltliches) Zurückkommen auf die rechtskräftigen Strafen (vgl. zur Zusatzstrafe:
BGE 144 IV 217
E. 3.4.3;
BGE 142 IV 265
E. 2.4.1;
BGE 138 IV 120
E. 5.2 S. 122 f.). Ist jedoch ein inhaltliches Zurückkommen auf ein rechtskräftiges Urteil nach der Gesetzeskonzeption im Rahmen der Zusatzstrafe gemäss
Art. 49 Abs. 2 StGB
nicht vorgesehen, muss dies auch bei mehreren rechtskräftigen Urteilen gelten. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit der (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung gemäss
Art. 46 Abs. 1 und
Art. 89 Abs. 6 StGB
, in deren Rahmen die Strafzumessung der rechtskräftigen Urteile ebenfalls nicht erneut vorgenommen wird. Ebenso kann der Beschwerdeführer im Nachverfahren nach
Art. 34 Abs. 3 StPO
nur die unterbliebene Asperation der gleichartigen Strafen geltend machen, nicht aber eine erneute Überprüfung oder Vornahme der Strafzumessung verlangen.
BGE 147 IV 108 S. 117
2.2.5
Die nachträgliche Gesamtstrafe ist durch Asperation der rechtskräftigen Strafen zu bilden. Um dem Prinzip der Gesamtstrafenbildung Rechnung zu tragen, ist die (Gesamt-)Strafe für das Delikt mit der schwersten Strafandrohung, für das auch bei einer korrekten Anwendung von
Art. 49 StGB
die Einsatzstrafe festgelegt wird, mit den weiteren rechtskräftigen Strafen zu asperieren. Handelt es sich bei den zu asperierenden Strafen um Gesamtstrafen, ist grundsätzlich nur deren Einsatzstrafe - soweit festgesetzt - zu asperieren, um eine doppelte Strafminderung der bereits asperierten Delikte zu verhindern und der Ermessensausübung der Sachgerichte möglichst umfassend Rechnung zu tragen. Die bereits asperierten weiteren Delikte (der rechtskräftigen Gesamtstrafen) sind anschliessend zu addieren (siehe E. 3.5.2). Etwas anderes kann gelten, wenn sich im Rahmen der abschliessend vom Gericht (zumindest gedanklich) vorzunehmenden Gesamtschau ergibt, dass den Delikten des zu asperierenden Urteils im Hinblick auf die die Einsatzstrafe enthaltene Sanktion ein deutlich geringeres Gewicht zukommt (z.B. da die Delikte Teil einer juristischen Bewertungseinheit sind wie bei gewerbsmässiger oder bandenmässiger Begehung). Die neue nachträgliche Gesamtstrafe darf die Summe der einbezogenen Strafen nicht erreichen, da sich auch im Nachverfahren gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
das Asperationsprinzip hinsichtlich der Strafhöhe zugunsten des Verurteilten auswirken muss. Je mehr sich die Gesamtstrafe der Summe der einzubeziehenden Strafen annähert, umso eingehender ist sie zu begründen. Dies gilt auch, wenn aufgrund besonderer Umstände trotz weiterer erheblicher Strafen nur eine geringfügige Erhöhung der "Grundstrafe" erfolgt. Denn die nachträgliche Gesamtstrafe kann nicht niedriger respektive muss grundsätzlich höher ausfallen als die höchste der einzubeziehenden (Gesamt-)Strafen. Die nachträgliche Gesamtstrafe hat sich im ordentlichen Strafrahmen des abstrakt schwersten Deliktes zu halten, es sei denn, es liegen aussergewöhnliche Umstände vor, die eine Strafrahmenerweiterung gemäss
Art. 49 Abs. 1 StGB
rechtfertigen.
3.1
Der Beschwerdeführer hat das erforderliche Gesuch um nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
bei der Vorinstanz eingereicht. Diese ist zur Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe zuständig, da die von ihr ausgesprochene (Gesamt-)Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren höher ist als diejenige des Obergerichts des Kantons Aargau mit 3 Jahren.
BGE 147 IV 108 S. 118
3.2
Die Vorinstanz verneint zutreffend, dass ein Gesuch um nachträgliche Gesamtstrafenbildung nur bis zum Antritt des Strafvollzugs gestellt werden kann. Die von Teilen der Lehre vertretene, aber nicht näher begründete gegenteilige Auffassung (vgl. MOSER/SCHLAPBACH, a.a.O., N. 16 zu
Art. 34 StPO
; FINGERHUTH/LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2. Aufl. 2014, N. 14 zu
Art. 34 StPO
; ANDREAS BAUMGARTNER, Die Zuständigkeit im Strafverfahren, 2014, S. 263) widerspricht sowohl dem (insoweit) klaren Wortlaut von
Art. 34 Abs. 3 StPO
- und dessen Vorgängervorschriften aArt. 344 Abs. 2 resp. aArt. 350 Abs. 2 StGB - als auch Sinn und Zweck der Norm. Würde man der zitierten Lehrmeinung folgen, käme die nachträgliche Durchsetzung des Asperationsprinzips in Fällen des gesetzlich explizit vorgesehenen vorzeitigen Strafvollzugs nicht in Betracht, was nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen kann. Auch ist eine unterschiedliche Handhabung im Vergleich zu
Art. 49 Abs. 2 StGB
, wo im Zeitpunkt der Ausfällung einer Zusatzstrafe die Grundstrafe unter Umständen bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen respektive die Bewährungszeit/Probezeit abgelaufen mithin "erledigt" ist, nicht sachgerecht.
3.3
Vorliegend war aufgrund der Anordnung der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zur getrennten Verfahrens(fort)führung sowie infolge ergriffener und hängiger Rechtsmittel eine Gesamtstrafen- oder Zusatzstrafenbildung weder in einem der beiden erstinstanzlichen Verfahren noch durch die Vorinstanz oder das Obergericht des Kantons Aargau im Berufungsverfahren möglich. Mithin steht die Subsidiarität des Nachverfahrens gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
der nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht entgegen. Da dem Asperationsprinzip in der konkreten Prozesskonstellation letztmalig im Berufungsverfahren durch die Bildung einer Zusatzstrafe hätte Geltung verschafft werden können, ist die nachträgliche Gesamtstrafe gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
i.V.m.
Art. 49 Abs. 2 StGB
zu bilden (soweit ersichtlich wird die nachträgliche Gesamtstrafenbildung in der Literatur nur im Rahmen retrospektiver Konkurrenz erwähnt: vgl. u.a. JÜRG-BEAT ACKERMANN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 197 zu
Art. 49 StGB
; DONATSCH/TAG, Strafrecht I, Verbrechenslehre, 9. Aufl. 2013, § 38 S. 411; FINGERHUTH/LIEBER, a.a.O., N. 14 zu
Art. 34 StPO
; BERNARD BERTOSSA, und [dessen Kommentierung wortwörtlich weiterführend] DAVID BOUVERAT, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011 und 2. Aufl. 2019, jeweils N. 5 zu
Art. 34 StPO
; MOREILLON/
BGE 147 IV 108 S. 119
PAREIN-REYMOND, CPP, Code de procédure pénale, 2. Aufl. 2016, N. 12 zu
Art. 34 StPO
; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 5 zu
Art. 34 StPO
; WOHLERS/GUDENZI/SCHLEGEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 4. Aufl. 2020, N. 12 zu
Art. 49 StGB
; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Aufl. 2020 N. 237; HANS MATHYS, Leitfaden Strafzumessung, 2. Aufl. 2019, N. 526; JEANNERET/KUHN, Précis de procédure pénale, 2. Aufl. 2018, N. 3021; JOSITSCH/EGE/SCHWARZENEGGER, Strafrecht II, Strafen und Massnahmen, 9. Aufl. 2018, § 5 S. 127, mit Verweisen in Fn. 359).
Im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Entscheids waren zudem die von der Vorinstanz und dem Obergericht des Kantons Aargau ausgesprochenen Strafen rechtskräftig.
3.4
Die von der Vorinstanz unbedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren vom 9. März 2017 bzw. 2. Oktober 2018 und die teilbedingte Freiheitsstrafe von 3 Jahren des Urteils des Obergerichts des Kantons Aargau vom 13. Dezember 2017 stellen trotz unterschiedlicher Vollzugsformen gleichartige und damit gesamtstrafenfähige Strafen im Sinne von
Art. 34 Abs. 3 StPO
dar (vgl.
BGE 144 IV 217
E. 2.1;
BGE 142 IV 265
E. 2.3.2; siehe auch: Botschaft vom 4. April 2012 zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes [Änderungen des Sanktionenrechts] BBl 2012 4738 Ziff. 1.4.4). Dass (Geld- oder Freiheits-)Strafen aufgrund unterschiedlicher Vollzugsformen nicht zu ungleichartigen Strafen werden, ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Terminologie und Systematik (vgl. Art. 34, Art. 40 -
Art. 46,
Art. 49,
Art. 62a und
Art. 89 StGB
). Bedingte, teilbedingte und vollziehbare Strafen stellen "verschiedene Varianten jeweils derselben Strafart" dar (JÜRG-BEAT ACKERMANN, a.a.O., N. 91 zu
Art. 49 StGB
; SCHNEIDER/GARRÉ, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Auflage 2019, N. 52 vor
Art. 42 StGB
; GÜNTHER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Strafen und Massnahmen, 2. Aufl. 2006, § 5 N. 9). Dass im Falle der Nichtbewährung gemäss
Art. 62a Abs. 2 und
Art. 89 Abs. 6 StGB
die Gesamtstrafenbildung nur zulässig ist, wenn "aufgrund der neuen Straftat die Voraussetzungen für eine unbedingte Freiheitsstrafe erfüllt" sind, stellt eine zusätzliche Voraussetzung neben der Gleichartigkeit der Strafen dar und ist Ausdruck der gesetzgeberischen Prämisse, die Grundrechte des Täters nur so weit einzuschränken, als dies für die Erreichung des Strafzwecks erforderlich ist.
BGE 147 IV 108 S. 120
Dieser soll so wenig Strafe als möglich, aber so viel wie nötig erfahren (vgl. BBl 1999 1984 Ziff. 1.2;
BGE 144 IV 217
E. 3.5.2 S. 234; siehe auch Art. 46 Abs. 1 [und Abs. 2] StGB, wo die Gesamtstrafenbildung bei Nichtbewährung als zusätzliche Voraussetzung eine ungünstige Legalprognose erfordert).
3.5.1
Die in der Hilfserwägung vorgenommene nachträgliche Gesamtstrafenbildung der Vorinstanz erweist sich materiell-rechtlich als bundesrechtswidrig. Die Vorinstanz bildet die Gesamtstrafe nicht anhand der beiden rechtskräftigen Strafen, sondern ersetzt die von ihr ausgesprochene Strafe von 4 ½ Jahren durch eine "hypothetische" Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren, die sie im Berufungsverfahren aufgrund des Verbots der "reformatio in peius" nicht aussprechen konnte. Ihr kann im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung - ungesehen der entgegenstehenden Rechtskraft - jedoch keine weitergehende Strafbefugnis als im ordentlichen Rechtsmittelverfahren zustehen.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz steht auch das Verbot der Schlechterstellung (reformatio in peius), das mit Einschränkungen auch im Verfahren nach
Art. 34 Abs. 3 StPO
gilt, einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht entgegen. Das Asperationsprinzip soll gewährleisten, dass der Täter, der mehrere gleichartige Strafen verwirkt hat, nach einem einheitlichen Prinzip der Strafschärfung beurteilt wird, unabhängig davon, ob die Verfahren getrennt durchgeführt werden oder nicht (
BGE 141 IV 61
E. 6.1.2 S. 67;
BGE 138 IV 113
E. 3.4.1 S. 115 mit Hinweis). Allerdings handelt es sich bei der Gesamtstrafenbildung um ein zweiseitiges Instrumentarium, das sowohl Vorteile als auch Nachteile für den Täter haben kann. Während sich das Asperationsprinzip bei der Strafhöhe zwingend zugunsten der verurteilten Person auswirkt, ist dies bei der Vollzugsform häufig nicht der Fall, da diese sich bei
Art. 49 Abs. 1 und 2 StGB
anhand der (hypothetischen) Gesamtstrafe bestimmt (
BGE 145 IV 377
E. 2.2;
BGE 142 IV 265
E. 2.4.6; ACKERMANN, a.a.O., N. 177 zu
Art. 49 StGB
). Ob dies auch uneingeschränkt gilt, wenn einzelne der einzubeziehenden Strafen sich infolge Vollstreckung, Verjährung, Erlass respektive Bewährung vollständig erledigt haben und ob bei vollständiger Erledigung sämtlicher Strafen eine nachträgliche Gesamtstrafe noch gebildet werden kann, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.
BGE 147 IV 108 S. 121
3.5.2
Die Vorinstanz hat mit Urteil (und Beschluss) vom 2. Oktober 2018 festgestellt, dass die von ihr im ersten Berufungsverfahren gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren am 9. März 2017 und somit vor der teilbedingten Freiheitsstrafe des Obergerichts des Kantons Aargau in Rechtskraft erwachsen ist. Der Entscheid blieb unangefochten, weshalb das Datum der Rechtskraft für das Bundesgericht verbindlich und nicht weiter zu überprüfen ist. Das Obergericht des Kantons Aargau wäre demnach im Rahmen der von ihm als letztes entscheidendes Sachgericht zu bildenden Zusatzstrafe gemäss
Art. 49 Abs. 2 StGB
zwar hinsichtlich Art und Dauer der Strafe für die von ihm zu beurteilenden Straftaten frei gewesen, hätte jedoch aufgrund des rechtskräftigen Urteils der Vorinstanz keinen teilbedingten Vollzug mehr aussprechen können. Wäre umgekehrt das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vor demjenigen der Vorinstanz in Rechtskraft erwachsen, hätte letztere im Rahmen der Zusatzstrafenbildung nicht mehr auf den vom Obergericht des Kantons Aargau ausgesprochenen teilbedingten Vollzug zurückkommen und "nur" noch die Freiheitsstrafe für die von ihr beurteilten Delikte unbedingt aussprechen können. Die Grenzen von
Art. 49 Abs. 2 StGB
und dem darin zum Ausdruck gebrachten Vorrang der Rechtskraft sind auch bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
zu beachten.
3.5.3
Demnach ist vorliegend im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung die von der Vorinstanz ausgefällte Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren, die mit der falschen Anschuldigung das Delikt mit der (abstrakt) höchsten Strafandrohung beinhaltet, in Anwendung des Asperationsprinzips mit der 3-jährigen Freiheitsstrafe des Obergerichts des Kantons Aargau angemessen zu erhöhen. Die diesbezüglichen Erwägungen der Vorinstanz halten vor Bundesrecht stand. Die Vorinstanz "beschränkt" die im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung von ihr vorzunehmende Asperation auf die vom Obergericht des Kantons Aargau festgesetzte Einsatzstrafe von 2 ½ Jahren und berücksichtigt diese straferhöhend mit 1 ½ Jahren (vgl. E. 2.2.5). Damit hält sie sich im Rahmen des ihr gemäss
Art. 34 Abs. 3 StPO
i.V.m.
Art. 49 StGB
zustehenden Ermessens. Dass die Vorinstanz die vom Obergericht des Kantons Aargau mit 6 Monaten straferhöhend berücksichtigten (aber leider nicht ausgewiesenen) Einzelstrafen der übrigen Delikte im Rahmen einer Gesamtschau nicht nochmals strafmindernd asperiert, ist nicht zu beanstanden und im Übrigen vom Beschwerdeführer auch nicht gerügt. Insgesamt
BGE 147 IV 108 S. 122
ergibt sich somit eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von 6 ½ Jahren (4 ½ + 1 ½ + ½ [oder rechtskräftige Strafen von 4 ½ + 3 - 1 als nachgeholte Asperation]). Deren Vollzugszeit beträgt damit 1 Jahr mehr als die der beiden getrennt ausgesprochenen Strafen und erscheint damit für den Beschwerdeführer - auf den ersten Blick - nicht vorteilhaft. Dieser weist jedoch zutreffend darauf hin, dass die von ihm in beiden Verfahren ausgestandene Haft von 1086 Tagen nun vollständig auf die nachträgliche Gesamtstrafe anzurechnen ist. Gemäss Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 13. Dezember 2017 beträgt die vom Beschwerdeführer ausgestandene Haft 783 Tage, die im Umfang von 12 Monaten auf den zu vollziehenden Teil der Strafe angerechnet werden konnte. Die Hafttage, die auf den bedingt zu vollziehenden Teil der Strafe angerechnet wurden, überschreiten die Dauer von einem Jahr, um die sich der Vollzug der Strafen infolge der Gesamtstrafenbildung verlängert, so dass der Beschwerdeführer effektiv weniger Haft verbüssen muss als bei getrennter Beurteilung.
Da die nachträgliche Gesamtstrafenbildung der Vorinstanz sich nur in methodischer Hinsicht in Bezug auf die "Ausgangsstrafe/Grundstrafe" als rechtsfehlerhaft erweist und eine Korrektur vorliegend ohne Eingriff in das vorinstanzliche Ermessen möglich ist, erweist sich die Sache als spruchreif und kann endgültig zum Abschluss gebracht werden (vgl.
Art. 107 Abs. 2 BGG
). Eine Rückweisung zur neuen Beurteilung erfolgt nur noch im Hinblick auf die Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen (vgl. Urteile 6B_909/ 2019 vom 9. Juni 2020 E. 2.4; 6B_1031/2016 vom 23. März 2017 E. 9).
3.6
In prozessualer Hinsicht ist anzumerken, dass soweit eine Änderung der Vollzugsform möglich oder gesetzlich zwingend erscheint, die richterliche Fürsorgepflicht es erfordern kann, die verurteilte Person auf die möglichen Konsequenzen des Antrags um nachträgliche Gesamtstrafenbildung aufmerksam zu machen und ihr die Möglichkeit einzuräumen, diesen zurückzuziehen. Erachtet das Gericht im Verfahren nach
Art. 34 Abs. 3 StPO
in Abweichung der Vorgerichte eine teil- oder unbedingte Strafe für möglich, obwohl ein bedingter oder teilbedingter Vollzug rechtlich möglich ist, unterliegt der Entscheid gesteigerten Begründungsanforderungen, der mit einem erhöhten Feststellungszwang korreliert und in der Regel eine Verhandlung mit persönlicher Anhörung der verurteilten Person gemäss
Art. 365 Abs. 1 Satz 2 StPO
erfordert. Bis zur Rechtskraft des
BGE 147 IV 108 S. 123
nachträglichen Entscheids bleibt die Vollstreckung der früheren Urteile möglich. Mit Eintritt dessen Rechtskraft ist der nachträgliche Gesamtstrafenentscheid Vollstreckungstitel und die aufgegangenen Strafen werden gegenstandslos.