Bundesgesetz
über internationale Rechtshilfe in Strafsachen
(Rechtshilfegesetz, IRSG)

vom 20. März 1981 (Stand am 1. Juli 2021)


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Art. 35 Auslieferungsdelikte

1 Die Aus­lie­fe­rung ist zu­läs­sig, wenn nach den Un­ter­la­gen des Er­su­chens die Tat:

a.
nach dem Recht so­wohl der Schweiz als auch des er­su­chen­den Staa­tes mit ei­ner frei­heits­be­schrän­ken­den Sank­ti­on im Höchst­mass von min­des­tens ei­nem Jahr oder mit ei­ner schwe­re­ren Sank­ti­on be­droht ist; und
b.
nicht der schwei­ze­ri­schen Ge­richts­bar­keit un­ter­liegt.

2 Bei der Be­ur­tei­lung der Straf­bar­keit nach schwei­ze­ri­schem Recht wer­den nicht be­rück­sich­tigt:

a.
des­sen be­son­de­re Schuld­for­men und Straf­bar­keits­be­din­gun­gen;
b.
die Be­din­gun­gen des per­sön­li­chen und zeit­li­chen Gel­tungs­be­reichs des Straf­ge­setz­bu­ches79 und des Mi­li­tär­straf­ge­set­zes vom 13. Ju­ni 192780 hin­sicht­lich der Straf­vor­schrif­ten über Völ­ker­mord, Ver­bre­chen ge­gen die Mensch­lich­keit und Kriegs­ver­bre­chen.81

79 SR311.0

80SR 321.0

81 Fas­sung ge­mä­ss Ziff. I 4 des BG vom 18. Ju­ni 2010 über die Än­de­rung von BG zur Um­set­zung des Rö­mer Sta­tuts des In­ter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 4963; BBl 2008 3863).

BGE

109 IB 60 () from 2. März 1983
Regeste: Auslieferung. Europäisches Auslieferungsübereinkommen, Bundesgesetz betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande vom 22. Januar 1892 und Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe im Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG). 1. Auf ein Auslieferungsgesuch anwendbare verfahrens- und materiellrechtliche Bestimmungen, wenn dieses vor dem Inkrafttreten des IRSG gestellt worden ist, vom Bundesgericht aber erst nach dem 1. Januar 1983 beurteilt wird (E. 1 und 2). 2. Mit der Frage der Täterschaft und Schuld hat sich die ersuchte schweizerische Behörde nicht zu befassen; nach dem Inkrafttreten des IRSG ist allerdings der vom Verfolgten angebotene Alibibeweis zu prüfen (E. 5a).

109 IB 165 () from 2. März 1983
Regeste: Vertrag zwischen der Schweiz und Frankreich über die gegenseitige Auslieferung von Verbrechern vom 9. Juli 1869. Beidseitige Strafbarkeit. Gegenseitigkeit. Schweizerischer ordre public. 1. Die Delikte der einfachen und qualifizierten Kuppelei des französischen Rechts entsprechen der einen oder anderen strafbaren Handlung nach Art. 198 bis 202 StGB. Sie sind jedoch nicht in der Liste der Auslieferungsdelikte enthalten (E. 4). 2. Beim Vertragsabschluss haben Frankreich und die Schweiz den Austausch ergänzender Gegenrechtserklärungen nicht ausgeschlossen (E. 5). Im vorliegenden Fall genügt die von Frankreich gemachte Gegenrechtserklärung für die Auslieferung wegen qualifizierter Kuppelei (E. 6). 3. Kontumazialurteil im französischen Strafverfahren und schweizerischer ordre public (E. 7a, b). Folgen des Beitritts Frankreichs und der Schweiz zur Europäischen Menschenrechtskonvention für die Auslieferungspraxis zwischen diesen Staaten (E. 7c).

109 IB 317 () from 19. August 1983
Regeste: Auslieferung. Europäisches Auslieferungsübereinkommen (EAÜ), Rechtshilfegesetz (IRSG). 1. a) Begriff des Alibis gemäss Art. 53 IRSG. b) Abklärungen zur Kontrolle des Alibis müssen nur dann durchgeführt werden, wenn bei positivem Ergebnis die Verweigerung der Auslieferung oder der Rückzug des Auslieferungsgesuchs in Betracht gezogen werden kann (E. 11b). 2. Betrügerischer Konkurs; Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit. Im schweizerischen Recht muss die Konkurserklärung, die eine objektive Strafbarkeitsbedingung darstellt, rechtskräftig sein. Art. 35 Abs. 2 Teil 1 IRSG, welcher die Tragweite des Grundsatzes der beidseitigen Strafbarkeit einschränkt, erlaubt jedoch die Bejahung der Strafbarkeit zu Auslieferungszwecken, selbst wenn die gerichtliche Insolvenzerklärung noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist (E. 11c/aa). Rechtslage nach italienischem Recht (E. 11c/bb). 3. Verfolgbarkeit der Straftat in der Schweiz. Anwendbarkeit des Art. 36 Abs. 2 IRSG auf den wegen mehrerer Straftaten Verfolgten, von denen eine die Auslieferung begründet (E. 11f). 4. Spezialitätsprinzip. a) Das in Art. 14 Ziff. 1 EAÜ enthaltene Verbot hat seine Grundlage und zugleich seine Beschränkung im Persönlichkeitseingriff, den die in dieser Bestimmung vorgesehenen Zwangsmassnahmen bewirken: im Gegensatz zum kontradiktorischen Verfahren ist daher die Durchführung eines Abwesenheitsverfahrens zulässig (E. 13). b) Art. 14 Ziff. 1 EAÜ verbietet die Ausübung richterlicher Gewalt - mit Ausnahme der Durchführung von Abwesenheitsverfahren (Ziff. 2) - in bezug auf Taten, für welche die Auslieferung nicht gewährt wurde, auch wenn im ersuchenden Staat, noch bevor das Auslieferungsgesuch gestellt wurde, für diese ein Strafverfahren eingeleitet worden war (E. 14). c) Der Spezialitätsgrundsatz verbietet auch Zwangsmassnahmen verwaltungsrechtlicher Natur mit Bezug auf andere von der Auslieferung nicht erfasste frühere Taten (im konkreten Fall hinsichtlich der vom Verfolgten vor der Parlamentarischen Kommission gemachten Ausführungen über die Freimaurer Loge P2, die seit dem 23. September 1981 in Italien besteht) (E. 15a). d) Gemäss Art. 14 Ziff. 1 lit. b EAÜ muss der endgültig freigelassene Ausgelieferte nicht nur theoretisch sondern auch praktisch die Möglichkeit gehabt haben, das Gebiet des ersuchenden Staates zu verlassen; diese ist nicht gegeben bei Krankheit und Mangel an finanziellen Mitteln (E. 15b). 5. Begriff der mit einer politischen Straftat konnexen Tat und des relativ politischen Delikts. Verhältnisse im konkreten Fall (E. 16b). 6. Verweigerung der Auslieferung gemäss Art. 3 Ziff. 2 EAÜ. Verhältnisse im konkreten Fall (E. 16c).

112 IB 225 () from 22. Mai 1986
Regeste: Europäisches Auslieferungs-Übereinkommen (EAUe), Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG). Auslieferung nach Italien wegen Konkursdelikten, Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit, Verjährung der Strafverfolgung. 1. Besonderheiten der schweizerischen und der italienischen Regelung im Bereich der Konkursdelikte (betrügerischer Konkurs), insbesondere hinsichtlich der Teilnahme Dritter und der Verfolgungsverjährung (E. 3). 2. Da der Verfolgte nicht als tatsächlicher Leiter der konkursiten Gesellschaft (Art. 172 und 163 Ziff. 1 schweiz. StGB) betrachtet werden kann, sondern allerhöchstens als Dritter, der an den mehr als fünf Jahre zurückliegenden Konkursdelikten teilgenommen hat (Art. 163 Ziff. 2 schweiz. StGB), wäre nach schweizerischem Recht Verjährung eingetreten (Art. 70 Abs. 3 StGB) und es stünde somit einer Auslieferung Art. 10 EAUe entgegen (E. 4). 3. Dem Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit (Art. 2 EAUe) ist Genüge getan, wenn die dem Verfolgten vorgeworfene Tat - ungeachtet ihrer rechtlichen Qualifikation - in beiden Staaten als Auslieferungsdelikt strafbar ist: Im konkreten Fall kann die Auslieferung gewährt werden, weil die Tat, für die in Italien die Anschuldigung der Teilnahme am betrügerischen Konkurs erhoben wird, in der Schweiz vom Tatbestand der Hehlerei (Art. 144 Abs. 1 StGB) am Gewinn aus dem betrügerischen Konkurs erfasst würde (E. 5a). Eine eventuelle Verfolgbarkeit dieses Deliktes in der Schweiz (Art. 7 Abs. 1 EAUe, Art. 5 Abs. 1 lit. b IRSG) rechtfertigt die Verweigerung der Auslieferung im konkreten Fall nicht (Art. 36 Abs. 1 IRSG) (E. 5b).

112 IB 576 () from 19. November 1986
Regeste: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen. 1. Das Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG) und das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EÜR) finden auch Anwendung, wenn die im Ersuchen aufgeführten Taten vor deren Inkrafttreten begangen wurden (E. 2). 2. Art. 17, 25, 78 f. IRSG, Art. 14 IRSV. Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen letztinstanzlicher kantonaler Behörden. Zulässige Rügen und Kognitionsbefugnis des Bundesgerichtes; Möglichkeit der reformatio in peius sive in melius der angefochtenen Verfügung; durch den Streitgegenstand gegebene Begrenzung der Offizialmaxime; Unzulässigkeit der Anfechtung des Vorentscheides des Bundesamtes (E. 3). 3. Art. 16 und 23 IRSG. Im Kanton Tessin - wo noch kein Einführungsgesetz zum IRSG erlassen worden ist - obliegt die Ausführung von Ersuchen um "andere" Rechtshilfe dem Instruktionsrichter, gegen dessen Anordnungen innert fünf Tagen Beschwerde bei der Camera dei ricorsi penali erhoben werden kann (Art. 93 in Verbindung mit Art. 120 ff., 226 und 227 CPP/TI). Vereinbarkeit dieser speziell kurzen Frist mit den Anforderungen des Bundesrechtes? Frage offengelassen (E. 7a-b). 4. Art. 1 Ziff. 2 EÜR, Art. 3 Abs. 1 IRSG. Begriff der militärischen strafbaren Handlung (E. 10). 5. Rechtshilfemassnahmen, die die Anwendung von Zwangsmassnahmen erfordern; Grundsatz der Spezialität und der beidseitigen Strafbarkeit (Art. 2 lit. b, Art. 5 Ziff. 1 lit. a, Art. 23 Ziff. 1 EÜR, Art. 3 des Bundesbeschlusses vom 27. September 1966, Art. 6, 64 und 67 IRSG). a) Vorbehalte und Erläuterungen der Schweiz zum EÜR. Die Schweiz hat in jedem Fall der Rechtshilfe die ersuchende Vertragspartei klar darüber zu informieren, welche Schranken sie für den Gebrauch der von ihr erteilten Auskünfte setzen will; wird im Zeitpunkt der Übermittlung kein solcher Vorbehalt gemacht, so kann der ersuchende Staat die erhaltenen Auskünfte gemäss Landesrecht verwenden, ohne gegen seine staatsvertraglichen Verpflichtungen zu verstossen (E. 11a). b) Tragweite der Art. 2 lit. d, Art. 6, Art. 35 Abs. 2, Art. 63, 64 und 67 IRSG im Hinblick auf das Prinzip der beidseitigen Strafbarkeit und den Spezialitätsgrundsatz. Bei "anderer" Rechtshilfe ist der Schweizer Richter in der Regel nicht verpflichtet, die Strafbarkeit der Tat gemäss dem Recht des ersuchenden Staates zu überprüfen; Ausnahmen von diesem Grundsatz (E. 11b/ba). Die Prüfung der Strafbarkeit gemäss Landesrecht schliesst auch die subjektiven Tatbestandsmerkmale ein, mit Ausnahme jedoch - gleich wie bei der Auslieferung - der besonderen Schuldformen und Strafbarkeitsbedingungen des schweizerischen Rechts (E. 11b/bb). Fall teilweiser Unzulässigkeit eines Rechtshilfebegehrens; Notwendigkeit, den ersuchenden Staat darauf aufmerksam zu machen, in welchem Rahmen die erhaltenen Auskünfte in weiteren Verfahren zur Verfolgung anderer Straftaten oder anderer Personen verwendet werden können; Pflichten der ersuchenden Partei (E. 11b/bc). 6. a) Keine Anwendbarkeit des EÜR auf die Übergabe von Gegenständen, die Beute bilden (Art. 1 Ziff. 2, Art. 3 Ziff. 1) (E. 12a). b) Anwendbarkeit der EÜR auf die Sicherungsbeschlagnahme von Deliktsgut oder von Erlös aus diesem? Frage offengelassen, da das interne Recht eine Übergabe von Deliktsgut an den ersuchenden Staat zum Zwecke der Beschlagnahme zulässt (Art. 74 IRSG) und vorläufige Massnahmen - wie gerade die Sicherungsbeschlagnahme - zur Sicherstellung der Übergabe gestattet (Art. 18 IRSG). Im vorliegenden Fall besteht das Deliktsgut teilweise aus Steuerbeträgen, die dem ausländischen Fiskus durch Steuerbetrug entzogen worden sind (Art. 3 Abs. 3 IRSG) und für welche praxisgemäss eine Übergabe nicht in Frage kommt; dennoch ist die vorsorgliche Massnahme zulässig, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die durch Steuerumgehung beiseite geschafften Gewinne nicht nur dem Fiskus, sondern auch Privaten entzogen worden sind, die sich auf Art. 74 Abs. 2 IRSG berufen könnten. Pflicht der Schweizer Behörde, die ausländische Behörde um die notwendigen näheren Angaben zu ersuchen, mit der Androhung, dass die Sicherungsbeschlagnahme allenfalls mangels weiterer Präzisierungen dahinfallen werde (E. 12b-c). 7. Unzulässigkeit des Rechtshilfeersuchens wegen Erlöschens des Strafanspruchs nach schweizerischen Recht (Art. 5 Abs. 1 lit. c IRSG). Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da die Straftaten zwischen 1974 und 1979 begangen worden sind und die in Art. 11 Abs. 2 und 3 VStrR vorgesehene absolute Verjährung noch nicht eingetreten ist (E. 13b). 8. Die Angehörigen von Verfolgten, die nach den Gesuchsunterlagen weder Beschuldigte noch Verdächtigte sind, können sich nicht darauf berufen, am Strafverfahren nicht beteiligt zu sein (Art. 10 IRSG), und müssen daher dulden, dass Auskünfte eingeholt werden. Die ersuchende Partei darf indessen die von der Schweiz erhaltenen Beweismittel nicht in Verfahren verwenden, die gegen diese Personen eröffnet worden sind, ohne die Schweiz zusätzlich um Zustimmung zu ersuchen (E. 13d). 9. Übermittlung von Beweismitteln; Prüfung ihrer Eignung durch die Behörden des ersuchten Staates (E. 14a). 10. Beschlagnahme und Übergabe von Gütern, die Deliktsgut bilden; die Behörden des ersuchten Staates haben zu prüfen, ob diese Güter zumindest aller Wahrscheinlichkeit nach direkt oder indirekt strafbarer Tätigkeit entstammen (E. 14b).

116 IB 89 () from 9. März 1990
Regeste: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; Anfechtbarkeit der Abschlussverfügung; zulässige Rügen; Zuständigkeit der Behörden des ersuchenden Staates; Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit; Verhältnismässigkeit. 1. Rügen betreffend die Zulässigkeit der Rechtshilfe sind im Eintretensverfahren vorzubringen. Im Beschwerdeverfahren gegen die Abschlussverfügung können sie nicht mehr vorgebracht werden. In dieser Phase können nur Rügen erhoben werden, die die eigentliche Weiterleitung der Auskünfte oder Tatsachen betreffen, die sich während des Instruktionsverfahrens ereignet oder herausgestellt haben (E. 1b). 2. Die Auslegung des Rechts des ersuchenden Staates ist vornehmlich Sache jener Behörden. Die Schweiz kann die Kompetenz der ersuchenden Behörde nur im Falle offensichtlich missbräuchlicher Gesuchstellung verneinen (E. 2c). 3. Die objektiven Strafbarkeitsbedingungen sowie die besonderen Formen der Absicht sind bei der Prüfung der beidseitigen Strafbarkeit nicht zu berücksichtigen (E. 3c).

117 IB 210 () from 20. September 1991
Regeste: Auslieferung an die BRD; Art. 7 Ziff. 1 EAÜ, Art. 35-37 IRSG; Art. 3, Art. 8 und Art. 12 EMRK, Art. 54 BV. 1. Der ersuchte Staat kann die Auslieferung ablehnen, wenn die Tat ganz oder zum Teil auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde (Art. 7 Ziff. 1 EAÜ). Eine solche Ablehnung richtet sich nach Art. 35 Abs. 1 lit. b und Art. 36 IRSG. Zudem kann eine Ablehnung unter bestimmten Voraussetzungen nach Art. 37 IRSG erfolgen. Beim Entscheid darüber steht den Auslieferungsbehörden ein Ermessensspielraum zu. Art. 104 OG entsprechend greift das Bundesgericht nur im Falle von Ermessensüberschreitung bzw. -missbrauch ein. Ein solcher Ermessensfehler liegt nicht vor, wenn die Auslieferungsbehörden namentlich aus prozessökonomischen Gründen die Auslieferung für alle dem Beschuldigten laut Ersuchen zur Last gelegten Taten - also auch für die angeblich in der Schweiz begangenen Tathandlungen - bewilligen, um so eine Gesamtbeurteilung des Verfolgten am Schwerpunkt des deliktischen Verhaltens im ersuchenden Staat zu ermöglichen (E. 3b). 2. Weder aus der EMRK noch aus Art. 54 BV lässt sich ein grundsätzlicher Anspruch entnehmen, nicht ausgeliefert zu werden (E. 3b/cc).

118 IB 448 () from 13. Oktober 1992
Regeste: Französisches Ersuchen um internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Beidseitige Strafbarkeit; Insiderdelikte, Art. 161 StGB. Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit im allgemeinen (E. 3). Im vorliegenden Fall betrifft die vertrauliche Information die Beteiligung der Gruppe M. am Kapital der französischen Bank Société Générale. Die Ziff. 1 und Ziff. 2 von Art. 161 StGB sind in bezug auf die in Frankreich verfolgten Handlungen nicht unmittelbar anwendbar, da die vertrauliche Information nicht von Personen stammt, die mit der Société Générale verbunden sind, sondern von solchen, die zur Gruppe M. gehören (E. 4). Wegen ihrer Bedeutung ist die im vorliegenden Fall erfolgte Beteiligungsübernahme mit einer Gesellschaftsverbindung im Sinne von Art. 161 Ziff. 4 StGB vergleichbar. Die Ziff. 1 und 2 sind deshalb auf die der Gruppe M. zuzurechnenden Insider oder "Tippees" anwendbar (E. 5). Es ist unerheblich, dass die Aktien der Gruppe M. nicht börsenkotiert sind (E. 6a). Begriff der vertraulichen Tatsachen (E. 6b).

118 IV 305 () from 27. Oktober 1992
Regeste: Art. 6 Ziff. 1 StGB; Umwandlung einer nach ausländischem Recht auszusprechenden Sanktion in eine solche des schweizerischen Rechts. Der schweizerische Richter, der ausländisches Strafrecht anzuwenden hat, muss die Sanktion, die nach ausländischem Recht auszusprechen wäre, in eine gleichartige und gleichwertige Sanktion des schweizerischen Rechts umwandeln (E. 3a). Die gleichzeitige Anwendung von in- und ausländischen Strafrechtsregeln ist ausgeschlossen (E. 2b). Umwandlung einer Freiheitsstrafe von 1 Monat (gemäss § 38 dStGB) mit bedingtem Strafvollzug und einer Weisung (§§ 56, 56a und 56c dStGB) in eine Gefängnisstrafe gemäss Art. 36 i.V.m. Art. 41 Ziff. 1 und 2 StGB (E. 3b).

119 IV 113 () from 17. August 1993
Regeste: Art. 5, 6, 348 StGB. Verbrechen und Vergehen von Schweizern gegen Schweizer im Ausland; Bestimmung des Gerichtsstandes. 1. Ist aufgrund von Art. 5 und 6 StGB materiell schweizerisches Strafrecht anwendbar, so gelten die Bestimmungen des IRSG über die stellvertretende Strafverfolgung nicht; ein förmliches Übernahmebegehren des ausländischen Tatortstaates bildet in diesem Fall nicht Voraussetzung der schweizerischen Gerichtsbarkeit (E. 1). 2. Sind sowohl die Voraussetzungen von Art. 5 als auch jene von Art. 6 StGB erfüllt, so ergibt sich die schweizerische Gerichtsbarkeit gestützt auf Art. 6 in Verbindung mit Art. 5 StGB (E. 2). 3. Massgebend für die Bestimmung des Wohnortes im Sinne von Art. 348 StGB ist grundsätzlich jener im Zeitpunkt der Übermittlung des ausländischen Übernahmeersuchens durch das Bundesamt für Polizeiwesen an eine kantonale Behörde (E. 3a). Dieser Grundsatz gilt nicht, wenn der Ehemann der Beschuldigten ohne deren Mitwirkung nach Anhebung der ausländischen Strafverfolgung den bisherigen Familien-Wohnort verlegt hat und nach den Umständen nicht zu erwarten ist, dass auch die Beschuldigte allenfalls wieder an diesem Ort mit ihrer Familie zusammen wohnen wird (E. 3d).

120 IB 120 () from 7. Januar 1994
Regeste: Auslieferung an die Republik Slowenien. Anwendbarkeit des zwischen der Schweiz und Serbien am 28. November 1887 abgeschlossenen Auslieferungsvertrages in bezug auf die Republik Slowenien (E. 1). Das landesinterne Recht darf die Rechtshilfe- bzw. Auslieferungsvoraussetzungen gegenüber vorrangigem Vertragsrecht nicht erschweren, wohl aber erleichtern (E. 1a). Da beidseitige Strafbarkeit jedenfalls nach Art. 35 IRSG zu bejahen ist, kann im vorliegenden Fall offenbleiben, ob die Gegenstand des Ersuchens bildenden Straftaten auch von Art. I des Vertrages erfasst werden (E. 3b). Die vom Verfolgten geltend gemachten familiären und beruflichen Gründe stehen der verlangten Auslieferung nicht entgegen, ebensowenig der von ihm angerufene Grundsatz der Verhältnismässigkeit (E. 3c und d).

122 II 422 () from 27. September 1996
Regeste: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; beidseitige Strafbarkeit; Art. 146 StGB. Eine Beeinflussung des Börsenkurses, wie sie im Rechtshilfeersuchen umschrieben wurde, kann als Betrug nach schweizerischem Recht qualifiziert werden (E. 2-4).

122 IV 162 () from 2. April 1996
Regeste: Art. 3, 6, 346, 348 StGB. Schweizerische Gerichtsbarkeit; Bestimmung des Gerichtsstandes für Auslandstat. Legitimation des Anzeigers/Geschädigten; Kognition der Anklagekammer (E. 1). Die Bestimmung des Gerichtsstandes gemäss Art. 346 ff. StGB setzt voraus, dass die schweizerische Strafgerichtsbarkeit nach den Art. 3 bis 7 StGB jedenfalls nicht offensichtlich auszuschliessen ist. Der endgültige Entscheid über die Frage der schweizerischen Strafgerichtsbarkeit bleibt vorbehalten und unterliegt nach Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts (E. 2). Erachtet sich ein Kanton als nicht zuständig, so hat er mit dem als zuständig in Betracht fallenden Kanton einen Meinungsaustausch durchzuführen (E. 3). Kommt bei einer in Frage stehenden Mitwirkung Mittäterschaft zumindest in Frage, so ist für die Bestimmung des Gerichtsstandes von dieser schwereren Teilnahmeform auszugehen (E. 4b). Die schweizerische Gerichtsbarkeit für einen Schweizer, der an einem im Ausland verübten Betrug mitgewirkt hat und sich in der Schweiz aufhält, bestimmt sich nach Art. 6 StGB (E. 4c); der Gerichtsstand ergibt sich in diesem Fall aus Art. 348 StGB (E. 4d). Gerichtsstand bei Urkundenfälschung (E. 5). Kostenfolgen für die kantonale Behörde (E. 8b).

123 II 279 () from 3. Juli 1997
Regeste: Auslieferung an Deutschland; Alibibeweis, Art. 53 IRSG; Art. 3 EMRK. Ein bloss partiell geltend gemachter Alibibeweis, d.h. ein solcher, der sich nur auf einen Teil des Auslieferungsersuchens bezieht, ist unbeachtlich (E. 2b). Voraussetzungen, unter denen die Garantien von Art. 3 EMRK einer Auslieferung entgegenstehen (E. 2d).

128 II 355 () from 18. September 2002
Regeste: Art. 55 Abs. 2 IRSG; Art. 1, Art. 2 Ziff. 1, Art. 3 Ziff. 1 und Art. 9 EAUe; Art. 1 lit. f und Art. 2 Ziff. 3 EÜBT; Art. 260ter Ziff. 1 StGB; Auslieferung eines mutmasslichen Angehörigen der "Brigate Rosse" an Italien. Anwendbares Recht (E. 1). Zuständigkeit und Verfahren für die materielle Beurteilung des Auslieferungsersuchens im Falle der Einrede des politischen Deliktes gemäss Art. 55 Abs. 2 IRSG (E. 1.1). Zuständigkeit und Verfahren für die Prüfung von Haftentlassungsgesuchen des Verfolgten (E. 1.2). Beidseitige Strafbarkeit betreffend den Vorwurf der Unterstützung (bzw. Beteiligung an) einer kriminellen Organisation, Art. 260ter Ziff. 1 StGB (E. 2). Einrede des politischen Deliktes (E. 4). Grundsatz "ne bis in idem" (E. 5).

139 IV 137 (2C_84/2012) from 15. Dezember 2012
Regeste: Verantwortlichkeit der Schweizerischen Eidgenossenschaft; Rechtshilfe in Strafsachen mit Brasilien; unaufgeforderte Übermittlung von Bankinformationen; Art. 3 Abs. 1 VG; Art. 3 Abs. 3, Art. 64, 67 und 67a IRSG. Haftungsvoraussetzungen (E. 4.1 und 4.2). Unaufgeforderte Weitergabe von in den Geheimbereich nach Art. 67a IRSG fallenden Informationen; Modalitäten; Abgrenzung zwischen Information und Beweismittel (E. 4.3-4.6). Tragweite der Grundsätze der doppelten Strafbarkeit und der Spezialität bei unaufgeforderter Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich (E. 5).

142 IV 175 (1C_644/2015) from 23. Februar 2016
Regeste: Art. 2 Ziff. 1 und Art. 3 Ziff. 1 EAUe; Art. 1 und Art. 2 EÜBT; Art. 3 Abs. 1 und Art. 35 Abs. 1 lit. a IRSG; Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Auslieferung an Deutschland wegen mutmasslicher Unterstützung (insbesondere Finanzierung) einer kriminellen Organisation. Einrede des politischen Deliktes; beidseitige Strafbarkeit. Dem verfolgten türkischen Staatsangehörigen wird im deutschen Auslieferungsersuchen vorgeworfen, er sei Kadermitglied von getarnten Auslandorganisationen der linksextremen Gruppierung TKP/ML. Diese leite und organisiere die in der Türkei aktive regierungsfeindliche Kampforganisation TIKKO. Die Gewaltdelikte, die der TIKKO angelastet werden, lassen sich nicht mehr als "legitimer Befreiungskampf" bzw. als bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Bürgerkriegsparteien einstufen, weshalb die Einrede des politischen Deliktes abzuweisen ist (E. 4). Eine förmliche gesetzliche Einstufung als terroristische Vereinigung (etwa aufgrund der vom EU-Ministerrat geführten Liste von verbotenen terroristischen Organisationen) bildet kein zwingendes Erfordernis für die Bejahung der beidseitigen Strafbarkeit nach Art. 260ter StGB. Dem Verfolgten wird insbesondere vorgeworfen, er habe Spendensammlungen (mit jährlichen Einnahmen von über Fr. 100'000.-) organisiert und an Geldtransfers in die Türkei mitgewirkt. Die Spenden seien unter anderem für die Ausrüstung, Ausbildung und Rekrutierung von bewaffneten Kämpfern der TIKKO verwendet worden. Der inkriminierte Sachverhalt erfüllt bei einer "prima facie-Subsumtion" nach Schweizer Recht die Tatbestandsmerkmale der Unterstützung einer kriminellen Organisation (E. 5).

142 IV 250 (1C_143/2016) from 2. Mai 2016
Regeste: a Art. 84 BGG; Auslieferung eines FIFA-Funktionärs an die USA, besonders bedeutender Fall. Besonders bedeutender Fall in Anbetracht der Tragweite der Angelegenheit bejaht (E. 1.3).

146 IV 338 (1C_228/2020, 1C_261/2020) from 12. Juni 2020
Regeste: Art. 2 Ziff. 1 und Art. 3 Ziff. 1 EAUe, Art. 3 Abs. 1 und Art. 35 Abs. 1 lit. a IRSG, Art. 260ter Ziff. 1 StGB; Auslieferung an Deutschland wegen mutmasslicher Unterstützung einer kriminellen Organisation. Beidseitige Strafbarkeit; Einrede des politischen Delikts. Unter den Begriff der kriminellen Organisation gemäss Art. 260ter StGB fallen auch terroristische Gruppierungen. Bei der Abgrenzung zwischen Terrorismus und legitimem Widerstandskampf ist den konkreten Aktivitäten der fraglichen Organisation im Zeitpunkt der verfolgten Straftaten Rechnung zu tragen. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist in diesem Zusammenhang, welchen Stellenwert die Anwendung von Gewalt im Vorgehen der betreffenden Gruppierung besitzt und ob bzw. in welchem Mass davon auch Zivilpersonen oder zivile Einrichtungen betroffen sind (E. 4). Die dem Verfolgten vorgeworfene Rekrutierung von Kämpfern für die mit der PKK in Verbindung stehenden kurdischen "Volksverteidigungskräfte" (HPG) erfüllt prima facie den Tatbestand der Unterstützung einer kriminellen Organisation (E. 5). Einrede des politischen Delikts abgewiesen. Das Bundesgericht trifft in seiner Rechtsprechung in dieser Hinsicht dieselbe Unterscheidung zwischen Terrorismus und legitimem Widerstandskampf, wie sie auch für die Strafbarkeit nach Art. 260ter StGB massgebend ist (E. 7).

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